Nürnberger Kaiserburg

Foto: Tourismuszentrale Nürnberg © Uwe Niklas

Die Nürnberger Kaiserburg und ihr neues Museum

Von der Reisestation der Kaiser zum Wahrzeichen der Region

Nürnbergs Kaiserburg war nie ein echtes Zuhause. Sie diente dem jeweiligen Reichsoberhaupt als repräsentative Residenz auf Zeit. Heute ist sie das Wahrzeichen der Metropolregion Nürnberg.

Ein Donnerstag im August auf der „Freiung“ der Kaiserburg, jenem legendären Platz, der im Mittelalter Verfolgten eine Art Asyl gewährte, das Recht Zeugen anzurufen und seinen „Fall“ vorzutragen. Der Ausblick über die Mauer hinab auf die Stadt ist legendär. Weit sieht man hinaus ins Land, im Osten ragt der moderne Tower der Nürnberger Versicherung hervor, in der Mitte die Kuppeln von Hauptbahnhof und Planetarium, die Kirchen der Altstadt, im Westen die Silhouette von Fürth.

Ein beliebter Ort für „ernste Absichten“

Die Freiung war nicht nur im Mittelalter „frei“, auch heute gehört sie zu jenen Teilen der Kaiserburg, die man betreten, besichtigen, von wo aus man fotografieren kann, ohne Eintritt zu zahlen. Das wird genutzt. Unter anderem ist dieser Platz ein sehr beliebter Ort für Heiratsanträge. Auch ohne „ernste Absichten“, geht es bunt zu, ein Stimmengewirr  fremdsprachiger Zungen ist zu hören: Italiener, die sehr günstige Flüge von Ryanair ab Mailand oder Rom nutzen; Amerikaner, die Flusskreuzfahrtschiffe für ihre Europatournee bewohnen und nur für Stunden verlassen; Japaner, Chinesen, die in zwei Wochen ganz Europa abgrasen und einen Wettkampf im Fotografieren, Filmen und Aufnehmen veranstalten. Viele Touristen haben zwei Stunden Zeit für ihren Nürnberg-Besuch: Sie erklimmen die Kaiserburg, passieren den Schönen Brunnen und gehen ein wenig shoppen. Für Museumsbesuche haben sie meist keine Zeit, dabei lohnt sich der Besuch der seit 2013 von der Bayerischen Schlösserverwaltung neu präsentierten Dauerausstellung „Kaiser Reich Stadt. Die Kaiserburg Nürnberg“ unbedingt.

Früher bestand die Burganlage aus verschiedenen Herrschaftsbereichen. Über die einzelnen Bauphasen werden die Besucher kostenlos im Foyer des Kassenbereichs mit einer virtuellen Präsentation informiert.
Die Freiung war einst das Bindeglied zwischen der Kaiserburg und der östlich vorgesetzten Burggrafenburg. Die Kaiserburg diente im Heiligen Römischen Reich dem herumreisenden König oder Kaiser als vorübergehender Aufenthaltsort,  an welchem er seine Herrschaftsrechte ausübte. Mal kamen die Kaise mit ihrem Gefolge (bis zu 2000 Mann: Ärzte, Musiker, Wagenbauer, Schmiede, Köche, Soldaten…) mehrmals jährlich, mal dauerte es ein Jahrzehnt, bis wieder Nürnberg auf der Reiseroute stand. In der Burggrafenanlage residierte anfangs die heute kaum mehr bekannte Familie von Raab, die recht bald, um 1190 herum, eine Tochter mit Friedrich dem III. von Hohenzollern verheiratete. Von den Burgherren, die in Abwesenheit des Kaisers nach dem Rechten sahen und Machtbefugnisse besaßen, die sie im Laufe der Jahre verlieren werden, wird noch zu erzählen sein. Zum Thema Macht und Ohnmacht hat die neue museale Präsentation der Kaiserburg einiges zu sagen. Auch der Nürnberger Markus Söder, Finanzminister des Freistaates  Bayern und deshalb Herr über die Bayerischen Schlösser, Gärten und Seen, hat diese neue Ausstellung mit Macht vorangetrieben und das Geld beschafft.

Heute werfen Künstler Bilder auf die Burg

Bleiben wir noch ein wenig auf der Freiung, schließen die Augen vor all dem Trubel und saugen tief den Atem der Geschichte ein: Hier muss es wohl gewesen sein, exakt am 16. Juli 1050. Eine Magd namens Sigena, nach ihr sind in Nürnberg ein Gymnasium und eine Straße benannt, erlebte hier den größten Tag ihres Lebens. Sie hatte die Gunst eines Adeligen namens Richolf erworben, der ihr einen Termin beim Kaiser besorgte: So streckte sie ihrem Kaiser, Heinrich III. (1038/46-1056) ihre von der harten Arbeit raue Hand entgegen. Darauf lag eine Münze, die der Kaiser der Magd aus der Hand schlug. Diese symbolische Handlung, Schatzwurf genannt, beschwor einen Rechtsakt vor zahlreichen Zeugen. Aus der unfreien Magd wurde eine freie Bürgerin. Damit alles seine Ordnung hat, ist dies in einer Urkunde festgehalten. Auch der Ort der Handlung ist säuberlich notiert: Nuorenberc. So fand die erste urkundliche Erwähnung Nürnbergs statt. Folglich hat man im Jahr 2000 ein ganzes Jahr 950-jähriges Stadtjubiläum gefeiert und dabei die Blaue Nacht und mehr erfunden. Bis heute wird jährlich diese offene Museumsnacht gefeiert. Als Höhepunkt darf ein lokaler Künstler die Burg durch seine auf sie „geworfenen“ Bilder zur Projektionsfläche seiner Kunst machen.

Die Kaiserburg ist mehr als andere historisch bedeutsame Bauwerke das Symbol ihrer Region. Wie eine in Gold getauchte Schutzmacht thront sie an sonnigen Tagen über der Stadt, wenn man vom Plärrer kommend über Spittlertorgraben und Westtorgraben Richtung Nordstadt fährt. Die Nürnberger Versicherung (gegründet 1884), einer der zehn größten Arbeitgeber der Stadt, erkannte schon 1928 die Symbolkraft der kaiserlichen Burg und übernahm sie ins Firmenlogo. 1958, ein Jahr vor dem 75. Geburtstag,  wurde der Slogan „Schutz und Sicherheit im Zeichen der Burg“ eingeführt, den ganz Deutschland mit dem fränkischen Versicherer verbindet und der wohl auch deshalb zu den bekanntesten seiner Branche gehört. „Schutz und Sicherheit im Zeichen der Burg, verbunden mit der Silhouette der Nürnberger Kaiserburg … kennzeichnen die fränkische Solidität des Unternehmens“, steht in der Denkschrift zum 100. Geburtstag. Ein Slogan wie wenige, der das Jahrhundert überdauert hat. Die Nürnberger fühlt sich übrigens bis heute verbunden und gehörte zu den ersten, die das Germanische Nationalmuseum mit seiner Rüstungs- und Waffensammlung in der Kemenate der Kaiserburg unterstützten.

Des Kaisers Macht ließ auch die Bürger Nürnbergs erstarken

Wie sich die Stadt inszeniert hat, wenn der Kaiser kam, erleben Kaiserburg-Gäste eindrucksvoll, sobald sie ihr Ticket für den Rundgang, der im Palas beginnt, gelöst haben. Über eine Treppe kommt man in den unteren Bereich des doppelstöckigen Saalbaus, das Hauptgebäude der Kaiserburg. Im Rittersaal, wo einst der Kaiser Gericht hielt, kann man in vier Metern Höhe erleben, wie sich der Einzug des Herrschers am Beispiel Matthias I. vollzogen hat. Vom Spittlertor zur Kaiserburg sind Kaiser, Hofmarschall, Soldaten, Stadtobere und sogar ein historisch verbürgter Pappmaché-Elefant als mechanisches Figurentheater nachgebildet. Alle halbe Stunde ertönen die Fanfaren, die den Einzug ankündigen. Überhaupt ist der Zug mit Sinn fürs akustische Detail (aus 12 Lautsprechern) und schönem Humor gestaltet: Sobald sich der Zug über die Fleischbrücke bewegt, hört man Enten quaken; in dem Augenblick, wo der Kaiser den Schlüssel zur Stadt erhält, läuten die Glocken von Sankt Sebald.  Abgesehen von dieser Installation, detailgetreu gemalt vom Künstler Stefan Kübler und gefertigt durch die fränkische Firma Hüttinger in Schwaig, ist der Raum nur spärlich möbliert, da er auch heute noch für Staatsakte Verwendung findet.

Die neue Dauerausstellung hat drei inhaltliche Schwerpunkte: Die Burg selbst mit ihrer Bau- und Nutzungsgeschichte stellt das Hauptexponat dar. Zudem wird der Frage nachgegangen, wie das Heilige Römischen Reich in seinen Grundstrukturen funktionierte.  Drittens: wie gestaltete sich das Verhältnis zwischen Kaiser und Reichsstadt Nürnberg?

Das Reich war zunächst ein sogenannter Personenverbandsstaat, eine Verbundenheit mit gegenseitigen Abhängigkeiten, Rechten und Pflichten, die dem späteren institutionellen Flächenstaat vorausging und in ihrer Komplexität nicht leicht nachzuvollziehen ist: Der Kaiser war zuständig für Schutz und Rechtssicherheit; die Untertanen schuldeten ihm Rat und Hilfe, (Kriegs-)Dienste und Geld.

Die berühmte Goldene Bulle wurde in Nürnberg erlassen

25 Mal ist Karl IV. (1316-1378), der Luxemburger aus Prag, in seiner „Kaiserburg“ Nürnberg gewesen. Er hat der Stadt eine vorher nicht gekannte Bedeutung verliehen. Seine „Goldene Bulle“, die erste Reichsverfassung, benannt nach ihrem Siegel, wurde 1356, ein Jahr nach seiner Krönung zum Kaiser, in zwei Teilen auf den Reichstagen in Nürnberg (Januar) und Metz (Dezember) erlassen. Sie lässt sich quasi als Grundgesetz des Heiligen Römischen Reiches bezeichnen. Das Werk legt die Wahlmodalitäten des deutschen Königs durch das Kurfürstenkollegium detailliert fest. Es legt fest, dass der römisch-deutsche König in Frankfurt gewählt und in Aachen gekrönt wird und dass in Nürnberg der erste Hoftag des neuen Reichsoberhauptes stattfinden soll. Das Regelwerk blieb bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches im Jahr 1806 gültig.

Sigmund von Luxemburg (1368-1437) war der jüngere Sohn Karls IV., römisch-deutscher König von 1411 bis 1437, römisch-deutscher Kaiser von 1433 bis 1437. Er besuchte Nürnberg nur viermal, doch eine Entscheidung hat Nürnberg symbolisch mehr aufgewertet, als es kaiserliche Aufenthalte je könnten: 1423 befahl er, dass die Reichskleinodien „zur ewiglichen Aufbewahrung“ in Nürnberg deponiert werden sollen. Zwar sind die üppig mit Edelsteinen und Perlen versehene goldene Reichskrone, das Reichsschwert, das Zepter, der goldene Reichsapfel, der Krönungsmantel, etliche Gewänder, Schuhe … seit 1796 aus Angst vor den Truppen Napoleons in die Wiener Hofburg gebracht worden, wo sie bis heute in der Weltlichen Schatzkammer verwahrt und ausgestellt werden. Doch einige hundert Jahre lang wurden die wertvollen Symbole kaiserlicher Macht in Nürnberg verwahrt und nur zu Krönungsfeierlichkeiten mit großem Aplomb und Einsatz von starker Bewachung zwischen Nürnberg und Frankfurt hin und her transportiert.
All dies kann man lernen, anschauen und begreifen, wenn man die Ausstellung im Palas der Kaiserburg besucht. Dem Besucher stehen verschiedenen Rezeptionsebenen offen – anhand von Originalen, eindrücklichen Inszenierungen und vertiefenden Computerstationen werden dem Batrachter die Themen der Ausstellung anschaulich und informativ nahe gebracht. Für deutsche und internationale Besucher gibt es darüber hinaus Erläuterungen auf Deutsch, sowie in sechs weiteren Sprachen auf dem Audioguide.

Ein paar Geschichtssekunden nach der Reichskleinodiensache später, etwa 100 Jahre also, hatte die selbstbewusste Reichsstadt Nürnberg entschieden, bei einer der größten historischen Umwälzungen der deutschen Geschichte mitzumachen. Als eine der ersten Städte schloss sie sich Luthers Reformation an. Die Zahl der Besuche der am alten Glauben festhaltenden Kaiser ging rapide zurück. Die Bedeutung Nürnbergs als Reichsstadt, mit einer starken Stellung des aufstrebenden Bürgertums, zu welchem auch Albrecht Dürer, Willi Pirckheimer, die „42 ratsfähigen Familien“, die Tuchers, Schürstabs und andere mehr gehörten, welche die Geschicke der Stadt zu deren Wohl bestimmten, ist ohne die Geschichte der Kaiserburg nicht zu verstehen. Die Stadtbürger, die dem „Kaiser gaben, was des Kaisers ist“ (Luther) bildeten eine neue Elite, die wirtschaftlich erfolgreiche Kaufmannschaft hatte in Nürnberg das Sagen.

Diese Bedeutung im Reich hat auch späteren Mächtigen imponiert. Als Lieblingsort seiner Machtinszenierungen hat sich Hitler Nürnberg ausgewählt und damit nicht nur architektonische Verwüstungen angerichtet. Nürnberg ist vom Sommer 1940 bis Kriegsende 44 Mal von den Alliierten bombardiert worden. 80 Prozent der Altstadt – und analog dazu: 80 Prozent der Kaiserburg – lagen nach dem Krieg in Trümmern.

Albert Speers architektonische Zeugnisse, Kolosseum, Luitpoldhain, Reichsparteitagsgelände, liegen weit im Süden der Stadt. Auch die Kaiserburg wurde damals in großem Stil umgebaut und sollte der Idee des Nationalsozialismus vom tausendjährigen Reich dienen.

In der Ausstellung lernt der Besucher, dass die Kaiserburg heute in vielen Teilen Wiederaufbau ist, doch spiegelt die Burg als Ganzes, mit den kaiserlichen Gemächern und der stauferzeitlichen Doppelkapelle weiterhin Macht und Würde des einstigen Heiligen Römischen Reiches eindrucksvoll wider.

Die große Baumaßnahme zur Neustrukturierung kostete 17,1 Mio. Euro; darin war die Neueinrichtung der Ausstellung Kaiser – Reich –Stadt nicht enthalten, diese schlug mit ca. 1,5 Mio. Euro zu Buche. Stube, Eckzimmer, des Kaisers Schlafgemach, die verborgenen Wandelgänge der Schlossdiener, die kraftstrotzende Ritter- und Waffenausstellung des Germanischen Nationalmuseums, tausend kleine Einblicke in das Gebetstübchen Karl V., die doppelstöckige Kapelle, der mythenumrankte Tiefe Brunnen, der dokumentierte Blick vom Sinwellturm ins fränkische Land, all das gehört zur sorgfältigen, detailreichen Darstellung von Geschichte.

Wer hier wirklich echten Überblick besitzt, über die Kaiserburg zu Nürnberg, sind nicht die Historiker, auch nicht der burgbegeisterte Markus Söder. Gelassenheit, Souveränität, einen abgehobenen, dennoch realistischen Überblick über das Geschehen rund um die Kaiserburg hat nur der Wanderfalke, der seit einigen Jahren im Sinwellturm  sein Nest bewohnt und dort seine Familie großzieht. Die moderne Technik hat ihn zwar erobert, eine Livecam überträgt regelmäßig Bilder vom Familienleben dieses Souveräns hoch über der Kaiserburg. Was er aber an Erkenntnissen gewinnt, wenn er frei und ohne Verpflichtungen hoch über Sinwell- und Heidenturm schwebt und auf dieses bald tausend Jahre alte Nuoremberg herabblickt, das bleibt aller Wissenschaft und menschlichen Erkenntnis verborgen.