Der in Kiew lebende Autor Andrej Kurkow / Foto: Regine Mosimann / © Diogenes Verlag
Eine Buchkritik von Peter Budig
Dieser Artikel erschien am 6. August 2019 im Feuilleton der Nürnberger Nachrichten
Es ist das östliche Ende von Europa, das brennt. Es herrscht immer noch Krieg, im Donbass, seit 2014, auch wenn es hier im Westen keinen mehr schert. Und es leben immer noch Menschen da, vor allem in der grauen Zone. Das Land an der Frontlinie, formal unter Kontrolle der Ukraine, umkämpft von den „Russischen“ und den Ukrainischen. Aber was heißt hier Form? Es ist das Leben, das geblieben ist, das Andrej Kurkow zum Gegenstand seiner Erzählung macht. Viel – ist da nicht mehr los, im menschenverlassenen Dörfchen Malaja Starogradowka, der Heimat des Bienenzüchters Sergejitsch und seines „Freundfeindes“ seit Schülerzeiten Paschka, der letzten Verbliebenen im einst geschäftigen Dörflein in der Bergbau- und Industrieregion, dem industriellen Herzen der Ukraine und früher einmal der Sowjetunion. Es gibt keinen Laden mehr, keine Post, keinen Strom. Der Alltag des Frührentners Sergej in der Zeit zwischen Winter und Frühlingserwachen ist bestimmt von Summen der Mörsergranaten, von denen keiner weiß, wo sie einschlagen werden; vom Summen der Gedanken, die irgendwo beginnen und nirgends hinführen, vom leisen Summen in den Bienenstöcken, wo man nicht weiß, wann es das Ende der Winterruhe vermeldet. Fast die Hälfte des 440-Seiten Romans bringt Kurkow damit zu, das graue Summen der Einsamkeit zu entfalten. Das könnte verdammt öde sein, wäre Kurkow nicht so ein ausgezeichneter, großartiger Erzähler.