Der Frankenversteher

Quizmaster Kevin Dardis erweitert die Quizbühne und wird zum Wandererzähler, der „My Middlefranken von A-Z“ präsentiert

von PETER BUDIG

Er hat 70.000 Quizfragen erdacht. Allein in Fürth wohl 600 Quizabende moderiert. Seit fast 20 Jahren lebt der Ire Kevin Dardis in Franken, „unter diesen etwas seltsamen Menschen“. Er tourt durch seine Städte und Veranstaltungssäle, als Quizmaster Big Kev Murphy und Sänger, er wandert, er trinkt Bier, er schaut den Menschen aufs Maul und trägt seinen Sermon bei. Jetzt liest er ihnen die Leviten, von A wie Ansbach bis Z wie Zirndorf.

Kevin Dardis weiß was sich gehört, wenn er nicht Tom Waits-Abende gibt sondern sich eine literarische Form gesucht hat, für sein multiples Bühnenwerk. Er hat sich fein gemacht, ziemlich neue Jeans von Levis, dunkelblaues, tailliertes Hemd (er kann das tragen, auch mit 48 noch), sehr schicke schwarze Schuhe, Gürtel. Alles tip-top. Schließlich hat er etwas zu verlieren, ist er doch das Paradebeispiel einer gelungenen Integrationsbemühung, die weitgehend, folgt man seinen Erzählungen, durch Begegnungen mit fränkischen Frauen und fränkischem Bier befördert wurden. Das schätzen seine Fans, diese irish-franconian Aufrichtigkeit, sie kommen reichlich und der Kofferfabrik-Veranstaltungsraum ist bis auf den letzten Platz gefüllt, bei dieser literarischen Premiere.

Es gibt eine lange Linie der Erzähler von der Insel, von Brendan Behan über Seán Ó Faoláin, doch das literarische Vorbild, das seinem Geschichtenerzählen am nächsten kommt, ist Bohumil Hrabal. Der Tscheche hat für seinen Redefluss, der viel in Kneipen entstand, das Wort „die Bafler“ erfunden – was mit dem fränkischen „Schmarrer“ ungenügend übersetzt wäre. Es ist schon so, dass Dardis den Worten und Geschichten ihren Lauf lässt, doch wie immer, wenn ein plätschernder Bach sich seinen Stromschnellen nähert, wie immer wenn etwas besonders leicht und wie zufällig gelungen daherkommt, steckt eine große Kunst dahinter. Nicht allein die Unbekümmert­heit schafft es, dass Kevin seine Zuhörer zwei Stunden in den Bann zieht, auch wenn jede einzelne Geschichte seines ausgefuchsten Storytellings die Welt inhaltlich nicht aus den Angeln hebt.

21 Geschichten, Begebenheiten, hat er auserwählt. In Ansbach traf es ihn ganz hart. Der dortige Wirt spielte ihm Streiche, und mehrmals, eigentlich immer, wenn er ein Bier bestellte, nickte dieser und brachte – Cuba libre. Der süße pappige Karibikdrink statt schäumend frischem Hopfentrunk – das ist gleich ein hübsches Bild, für einheimische Eigenwilligkeit. Wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden.

Dardis Erzählkunst lebt auch davon, dass er sich ausgezeichnet auskennt, in der Wahlheimat. Er hat sie und ihre Biere bis in die Verästelungen studiert. Er ist Stammgast in der Rangaubahn, in den Festsälen in Käffern wie Dittenheim, wo sie ihn für ein paar Lieder engagierten und von acht Uhr abends bis morgens um Fünf nicht von der Bühne ließen. Sie sangen mit, füllten sich und ihn ab und als der Wirt um vier ins Bett ging, war der Abend nicht zu Ende.

Hart hat es ihn gleich anfangs seiner Frankenjahre in Fürth getroffen, auf der Kärwa. Eine Band namens White Bullfrog sagte ab und Kevin musste ran, in der Moststraße im Zelt. Nun kann man bei der Kärwa, das ahnte auch er, „nicht mit irischen Volksliedern daherkommen, die melancholisch die Hungersnöte im 19. Jahrhundert verarbeiten“. Aber deshalb wie gefordert „Zwei kleine Italiener“ zum Mitgrölen zu bringen, oder mit „Sierra Madre“ die Leute auf die Bierbänke zu schicken, das brachte der kulturaffine Ire nicht übers Herz. Der Einstieg ins Musikergeschäft in Middlefranken war also gründlich versaut. Gut dass da noch die Plakate von „White Bullfrog“ hingen und die Leute das Bühnenmissgeschick mit diesem Namen ewig verbinden werden. Kevin konnte die Reset Taste drücken und unbeschwert seinen Weg finden.

Einen echten Schenkelklopfer hat Kevin Dardis auch im Gepäck. Diese Geschichte geschah glücklicherweise nicht in Fürth, sondern weit im Osten des Nürnberger Landes. Nach einer Wanderung verschlug es ihn in eine Kneipe in Lauf. Der Typ neben ihm, ein älterer Herr, verschwand am Klo. Anscheinend hatte er genug Bier intus, er tat etwas Verblüffendes: Er sprach den fremden Mann neben sich an, um ihn mit einer entzückenden Intimität zu versorgen: „Mein Kleiner“, behauptete er großspurig und zeigte nach unten, „schaut aus wie Diego Maradona.“ Das ging ein bisschen hin und her, Kevin sträubte sich redlich – bis sich der Thekennachbar nicht mehr bremsen ließ: Er öffnete den Gürtel –„ich hörte das einmalige Geräusch, das nur bedeuten konnte, dass ein Gürtel auf den Boden klackte“ – und als er unwillkürlich nach drüben schielte, sah er, dass der kuriose Mensch ein Foto Maradonas auf sein allerbestes Stück geklebt hatte. Das ließ sich nun der Wirt nicht mehr bieten und warf beide hochkant hinaus: „Es hat geklappt. Ich bin davongekommen. Ich konnte wieder mal meine letzten Biere nicht zahlen“, gab der neue Kumpel preis. Das ist, was einem Iren geschieht, der sich den Franken nähert.

Kevin Dardis wird mit „My Middlefranken“ weiter auf Tour gehen.