Lockdown für die Kultur

Was es für die Szene bedeutet, ihre Veranstaltungen auf unbestimmte Zeit abzusagen

Werden eigentlich noch Wetten angenommen, für das Unwort des Jahres 2020? Die Entscheidung wird zwar erst im Januar 2021 verkündet, aber der „lockdown“, auf Deutsch „Ausgangssperre“ dürfte gute Karten haben. Man kann nicht viel, aber dies voraussagen: Diese Zeit, in der wir uns befinden, wird unvergessen bleiben. Noch weiß niemand, wann dies endet. Was es für welche Gruppe der Menschen für Folgen haben wird. Die Kultur jedenfalls und die Kulturschaffenden, viele freiberufliche Einzelkämpfer sind im Mark getroffen. Lockdown ist Berufsverbot.

Das Motto großer Veranstaltungen hieß oft „umsonst und draußen“, heute geht man „umsonst nach draußen“, weil nichts mehr stattfindet, was Menschen anziehen könnte. „Das New Orleans Festival ist abgesagt“, hieß es diese Woche offiziell – niemand wunderte sich mehr: „Oder scheint es vorstellbar, Ende Mai drei Tage lang 20.000 Leute auf der Fürther Freiheit Party machen zu lassen“, fragt der Organisator von „Vision Fürth“, Thomas Schier rhetorisch. Abgesehen davon, dass verpflichtete Künstler wie das Joel Havea Trio (aus Melbourne, Australien), Mike Andersen (Dänemark) oder Hayseed Dixie (Tennessee/USA) weder aus ihren Ländern aus- noch hier einreisen dürften. Was macht man nun? Schiers Strategie: Er will das geplante 2020 er Festival 2021 abhalten. Das hätte Vorteile für alle Seiten und die Künstler könnten jetzt die geleistete Anzahlung auf ihre Gage behalten, im Vorgriff auf kommende Auftritte.

Sabine Tipp wird es schwer ums Herz, wenn sie an ihr Jugendtanzfestival „The Art of Breakin‘ Fürth“ denkt. Eine Veranstaltung, die sie mühsam in Fürth aufgebaut hat, die heuer 5-jährigen Geburtstag gefeiert hätte. Am Ostersamstag wäre der Tag des Break-Dance-Wettbewerbs in der ELAN-Halle gewesen – abgesagt! „Ich weiß nicht, was aus dieser Tanzveranstaltung werden wird. Da treten Einzeltänzer aus ganz Deutschland auf und im Wettbewerb an. Sie haben ein ganzes Jahr auf die Veranstaltung hingearbeitet und gefiebert. Fangen die irgendwann wieder an hart zu trainieren? Finden sie sich nach dem Lockdown wieder zusammen? Das weiß doch keiner“, so Sabine Tipp, Leiterin des Jugendkulturmanagement con-action. Und so geht es mit vielem, was sie in 19 Jahren aufgebaut hat: „Vor meiner Zeit gab es lange keine organisierte Jugend-Kultur mehr in Fürth. Ich hab ein ganzes Jahr für diese Veranstaltungen gearbeitet.“ Das Open-Air Festival im Lindenhain – auch so ein Umsonst und draußen-Projekt, geplant für den 22./23.5., wurde nun diese Woche abgesagt: „Das ist alles sehr kurz und knapp, das jetzt abzublasen“, murmelt Tipp. Zur Zeit renoviert sie mit Mitarbeitern den Jugendklub Kopf und Kragen. Malern gegen die Lockdown-Depression.

Vor „eigenständigen Absagen“, „in vorauseilendem Gehorsam und auf eigene Faust“ warnt Robert Steinkugler jedoch dringend. Er leitet die Fürther Stadthalle und das Kulturforum Schlachthof und hat sich in die neue Rechtsmaterie eingearbeitet: „Wer da die Nerven verliert, kann schnell in die böse Schadensersatzfalle rennen“, warnt er: „Mit einer behördlichen Absage ‚von oben‘ ist man auf der sicheren Seite, dann ist es höhere Gewalt“, formuliert er. Seine Strategie für Veranstaltungen, die jetzt ausfallen: „Verschieben, wo es geht. Neue Termine ansetzen. Das ist wie Tetris spielen“, sucht er nach einem schlüssigen Bild: „Da wo ein Stein rausfällt, rutscht was andres nach“, hat er gelernt.

„Der erste Stein fehlt in der Mauer“, ein Songtext von Grönemeyer. Viele Steine sind gefallen, über einen sehr  symbolträchtigen Stein wird im Juni entschieden: Kann das Münchner Oktoberfest (geplant: 19. September bis 4. Oktober) heuer stattfinden? Die Wiesn braucht diesen langen Vorlauf zum Aufbauen der vielen riesigen Bierpaläste. „Sollte das abgesagt werden, wächst der Druck natürlich, keine Frage“, weiß Horst Müller, seit fast 20 Jahren Kärwa-Referent in Fürth. „Die Kärwa ist das Fest der Fürther, einmalig, mitten in der Stadt. Die Fürther Kärwa ist in ihrer Geschichte nur in den schlimmsten Weltkriegsjahren abgesagt worden. Schon 1945 ging es weiter. Sie ist einfach etwas Besonderes“, so Müller. „Wir werden uns nicht vorzeitig irre machen lassen und so lange warten, wie es vertretbar ist, vielleicht bis Anfang September. Auf Grundlage der dann messbaren Fakten werden wir entscheiden. Nicht früher“, sagt er kämpferisch. Und sonst? „Mei, sagt Müller, ein Politiker vom Schlag „Kümmerer“, der sich auch jetzt kümmern möchte und oft untätig bleiben muss, weil es diese  Umstände erfordern: „Ich sag’s frei raus: Das ist alles neu. Keiner weiß, was im Einzelnen wird. Wir fahren auf Sicht. Wir bewerten die Fakten täglich neu. Wir lernen dazu.“

Wie heißt der Song mit dem ersten Stein aus der Mauer? „Bleibt alles anders“. So schaut’s aus.