„Dieses Leben von Gott her fragen“

Wer sind die Menschen, die heute noch in der katholischen Kirche Dienst tun? Was sind ihre Beweggründe und wie setzen sie sich mit einer Institution auseinander, die frauenfeindlich agiert und den sexuellen Missbrauch unter ihrem Dach mindestens geduldet hat?

Dieser Artikel entstand für den Straßenkreuzer Nürnberg, Ausgabe April 2022. Hier erscheint der Text erstmals ungekürzt in der ursprünglichen Autorenfassung.

Ich danke der Kollegin Anika Maaß sehr für die Genehmigung. ihre außerordentlichen Fotos zum Thema hier verwenden zu dürfen.

von PETER BUDIG

 

TU ES PETRUS +++ ET SUPER HANC PETRAM AEDIFICABO ECCLESIAM MEAM +++ ET TIBI DABO CLAVIS REGNI COELORUM.

 Du bist Petrus, und auf diesem Felsen werde ich meine Kirche bauen … und ich werde Dir die Schlüssel zum Himmelreich geben.

Auf diese Verse aus dem Matthäus Evangelium (Matthäus 16:18-19), des mutmaßlich frühesten Evangelisten, der als jener gilt, der besonders viele „authentische“ Sprüche Jesu gesammelt hat, gründet die katholische Kirche ihr Papsttum und ihre Macht. Doch allerspätestens seit 2002, als jene Flutwelle des allgemeinen Entsetzens – damals in Irland, losbrach, kann von einem Fels nicht mehr die Rede sein.

Seitdem kam Stück um Stück ans Licht, dass unzählige Amtsträger der katholischen Kirche in aller Welt schutzbefohlene Kinder über Jahre und immer wieder sexuell missbrauchten. Und als wäre dies nicht genug des Grauens, musste man hinnehmen, dass Kardinäle, Bischöfe, sogar der noch lebende, emeritierte Papst, dass die alten weißen Männer der Kirche, diese Gräueltaten systematisch vertuschten. Sie haben konsequent verhindert, dass Strafverfolgung der Täter stattfinden konnte, dass diese wenigstens von potentiellen Opfern ferngehalten wurden und bis heute muss man sich erbärmliche Ausflüchte anhören, sobald diese Verbrechen zur Sprache kommen.

Inzwischen stimmen die Gläubigen mit den Füßen ab, und wenn zwei von ihnen in seinem Namen beisammen sind, dann geht es nur selten um Lobpreis, sondern oft um Abscheu und Verachtung. Ende März trafen sich in Fürth hauptamtliche Mitarbeiter*innen der Pfarreien mit ihrem tapferen Dekan André Hermany unter dem Motto „Auskotzen“ zur Aussprache.

Dr. Ulrich Wastl, einer der Anwälte jener Münchner Kanzlei, die im Januar 2022 das „Gutachten zu Fällen sexuellen Missbrauchs im Erzbistum München und Freising“ veröffentlichte, das neben der Auflistung einer Vielzahl von Missbrauchsfällen auch eine Mitverantwortung Kardinal Ratzingers nahelegt, kam zu einem verheerenden Urteil: Im Ergebnis müsse von einer „systemischen Verantwortungslosigkeit“ ausgegangen werden. Katholiken stehen heute nicht als Gottesdienstbesucher sonntags vor dem Kirchenportal Schlange, sondern als Enttäuschte vor den Standesämtern, wo man seinen Kirchenaustritt offiziell machen kann. Die Verwaltungsgebühr beträgt 30 Euro.

Man hat also auch mit Gefühlen zu tun, mit längst tief verwurzelten Abneigungen, wenn man sich der Frage nähert, „wer sind eigentlich diese Menschen, die heute Funktionen in der katholischen Kirche ausüben“. Und was treibt sie an, um ein Lutherwort zu leihen, denn „was den Menschen treibet, das ist sein Gott.“

Wir besuchen Christian Körber, geboren 1976 in einem kleinen Dorf bei Pottenstein in einer großen, gläubigen Familie in der Fränkischen Schweiz. Der 45-jährige ist Pfarrvikar, also junger Priester in der Gemeinde in der katholischen Nürnberger Nordstadt-Gemeinde St. Martin. Seine Entscheidung, Gemeindepriester zu werden, ist gründlich überlegt und lange gereift. Denn zunächst hat er nach dem Hauptschulabschluss eine Schreinerlehre absolviert und einige Jahre als Geselle gearbeitet. Jetzt sitzt vor einem ein jugendlich wirkender Mann, schlank, athletisch, mit den kräftigen Händen eines Handwerkers. Regelmäßig fährt er an freien Tagen zum elterlichen Bauernhof und „hilft dem Bruder bei der Waldarbeit. Ich muss mich auslüften, ausarbeiten und ich muss in der Natur sein. Hier in der Stadt bin ich eine viel beachtete Person des öffentlichen Lebens, davon brauche ich auch mal Abstand“, berichtet er.

Als Körber sich mit Anfang 20 entschloss, das Abitur am Kolleg Theresianum in Bamberg nachzumachen, da muss das Saatkorn schon gekeimt haben, aus dem der Wunsch zum Priesterleben wuchs. Denn er wählte einen Bildungsweg, der das Erlernen der alten Sprachen, Latein und Griechisch vorsah, die im Theologiestudium verpflichtend sind. Im alter von 30 Jahren begann er dieses Studium der katholischen Theologie in Bamberg. „Man muss einen Ruf verspüren, eine Berufung, für diesen Weg“, sagt er nachdenklich. Die Entscheidung ist lange gereift, nicht durch ein Ereignis plötzlich entstanden. Der Frage, ob es für den jungen Mann vorher Liebesbeziehungen gab, weicht er nicht aus: „Es gab enge Freundschaften, aber eine eheähnliche Beziehung hatte ich nie. Das hat mit meinem Wertebewusstsein zu tun: Bei einer intimen Beziehung wäre die Gefahr einer Verletzung des anderen groß gewesen. Es war mir ein Anliegen, das zu vermeiden.“ Nun lebt er im versprochenen Zölibat. „Grundsätzlich ist die Sexualität ein Geschenk Gottes, wie anderes auch, also Gott gewollt“, meint er. Wenn also ein Priester sich für eine Beziehung öffnen wollte, ich hätte keine Einwände. Vielleicht sollten wir uns alle weniger einmischen, in die privaten Dinge anderer. Aber für mich ist der Zölibat eine Lebensform, die es mir ermöglich, mich ganz und gar dem Leben mit Gott zu widmen.“

Natürlich treiben ihn die Verbrechen, die unter dem Dach der Kirche geschahen, um: „Viele dieser Taten sind heute im rechtlichen Sinne verjährt. Aber so etwas kann im seelischen Sinne nie verjähren. Es ist hier großes Unrecht geschehen“, stellt er unumwunden fest.

Was ist für ihn großes Glück? „Es gibt Momente, da spüre ich, wie ich alles annehmen kann, so wie es ist. Die Jahrzehnte meines Lebens, was wären sie, hätte Gott mich nicht gerufen und mir diesen Weg gezeigt? Tief im inneren spüre ich, es ist von Gott so gewollt.“ So sieht er sich als ein Prediger, der Gott ins Zentrum stellt. „Meine Berufung mag für mich ein Ruf Gottes sein, doch ich selbst stehe nicht über anderen. Über Gott reden, heißt mein Leben von Gott her fragen. Gebete und Einkehr sind dabei wichtig, denn Spiritualität ist die Nahrung der Seele.“ Während er seine Antworten gibt, geht Körbers Blick in den Schoß,  in diese großen, gefalteten Hände. Es ist kein Ausweichen, eher ein Moment der Sammlung.

Geht man in diesen Tagen im März 2022 auf die Homepage der Jesuiten (www.jesuitenweltweit), finden sich vor allem Nachrichten zum Krieg in der Ukraine. Slowakische Jesuiten helfen Schutzsuchenden, der Jesuiten-Flüchtlingsdienst JRS findet sich an den an den Grenzen zur Ukraine ein, ein großer Hilfeaufruf „Lebensmittel, Medikamente, ein Dach überm Kopf“ sucht Gehör, und ansonsten: Nachrichten aus aller Welt, Paraguay, Afghanistan. „Als Jesuit hat man in aller Welt stets ein Bett, Zugang zu einem Kühlschrank und den Stallgeruch“, beschreibt der in Nürnberg tätige Dr. Jörg Alt (60) einen Vorteil des Jesuitenlebens,  in einem von Humor geprägtem Satz. Die Internationalität, „Die Welt ist unser Haus“, sagte Hieronymus Nadal (1507-1580), einer der ersten Gefährten und engster Vertrauter des Ordensgründers Ignatius von Loyola gehört stets dazu. Weitere Ordensprinzipien sind die grundsätzliche Besitzlosigkeit, der Verzicht auf eine Mönchskleidung oder Tonsur. Jesuiten leben in Wohngemeinschaften mit den Brüdern der Societas Jesu, das Kürzel SJ tragen sie hinter ihrem Namen mit Stolz. Innere Überzeugungen machen den zur katholischen Kirche gehörigen Orden aus. Starke Bedeutung besitzt der Bildungsauftrag, den die Brüder persönlich verfolgen und als Aufgabe (Lehre, Gründung von Schulen und Universität) in die Welt tragen. Enorme Bedeutung besitzt außerdem die jesuitische Spiritualität. Sie ist die andere Seite einer sehr auf Intellekt ausgerichteten Bewegung. Exerzitien wie intensive Meditation und Gebet dienen dazu, vom intellektuellen Senden ins Innen zu wechseln: „Die Grundübungen bestehen darin, wie eine Antenne ganz auf Empfang umzustellen und mit allen Sinnen in die Wahrnehmung zu kommen: Schauen, Lauschen, Riechen, Spüren, was sich jetzt im Moment gerade im Herzen zeigen will. Im Unterschied zum Nachdenken oder Problemlösen ist das kein aktives Handeln, sondern ein kontemplatives Betrachten“, steht in den Ordensregeln. Beim Versuch, Dr. Jörg Alt SJ nahezukommen, begegnet man einem Protagonisten, einem scharfen Denker, einem Überzeugungsmenschen, der dem Auftrag folgt, die Welt zu verbessern. „Handelt“ heißt das 2020 erschiene Buch des promovierten Sozialwissenschaftlers, es ist „ein Appell an Christen und Kirchen, die Zukunft zu retten“ und fast folgerichtig die Fortsetzung von 2021 „Einfach anfangen“. Seine Dissertationsschrift „Leben in der Schattenwelt“, untersuchte die „Illegale Einwanderung und den illegalen Aufenthalt von Migranten“. So spannt sich ein Bogen, was Alt unter der Nachfolge Jesu versteht: Nicht wegsehen, handeln, ein Täter werden, der sich nicht mit den eingeübten Ausreden des mitteleuropäischen Wohlstandsbürgers zufrieden gibt. Sünde ist für Alt durchaus auch weltlich gedacht: Der Priester hat kurz vor Weihnachten ganz bewusst gehandelt, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Auswüchse wie Lebensmittel Überproduktion, Verschwendung, Vernichtung „mit einer weiteren öffentlichen Aktion zivilen Ungehorsams, nämlich dem Verschenken ‚containerter‘ Lebensmittel auf dem Gelände eines Supermarkts in der Nürnberger Innenstadt“ hat er so angeprangert und dabei absichtlich in Kauf genommen, die Polizei auf den Plan zu rufen und eine Anzeige zu kassieren.“ So stand es auch in der betont sachlichen Presseerklärung der Jesuitenweltweit. Alt, der kein Hehl daraus macht, dass ihn bei einem Prozess wohl mehr wünschenswerte Öffentlichkeit als Strafe erwartet, geht es nicht um Radau um des Radaus willen: „Lebensmittelüberproduktion, -verschwendung und –vernichtung sind ein Skandal. Dass das Retten von weggeworfenen Lebensmitteln den Straftatbestand des Diebstahls erfüllt, ist ein zweiter Skandal.“

„Jesuiten“, erläutert er, „wollen Gerechtigkeit und Glauben verbinden. Ich will Fragen stellen und Antworten anbieten: Jesuiten geht es nicht nur darum, Suppenküchen einzurichten, sondern auch darum, die Frage zu stellen: Warum gibt es Suppenküchen? Warum existiert Armut? Beide sind doch Ausdruck eines Wirtschaftssystems, das Privateigentum und den Profit weniger über den realen Bedarf der vielen setzt.“

Die Fotos von Dr. Jörg Alt hat Steffen Windschall/jesuitenweltweit gemacht.

Als Jesuit lebt der Priester zölibatär in einer Gemeinschaft von Ordensbrüdern. Er erhält vom Orden die Wohnung, Bedarfe des täglichen Lebens; ein monatliches Taschengeld von etwa 300 Euro. Seine Einkünfte, Gehälter, Autorenhonorare … gehen an den Orden. „Das ist gelebter Kommunismus“, sagt er mit einem glücklichen Strahlen, und weiß doch: „Die jungen Menschen haben so große Sehnsucht nach Spiritualität; sie suchen sie überall, nur nicht bei uns“. Seiner, der katholischen Kirche, schenkt er dieselbe kritische Betrachtung, wie der Welt: „Wir brauchen vielfältigere Kirchen, die trotzdem ihre Identität bewahren; die Stellung der Frau in der Kirche ist unangemessen, wir brauchen sexuelle Selbstbestimmung. Die Lösungen werden wehtun.“ Das ist für ihn selbstverständlich. Doch der „Jesuit weltweit“ in ihm wendet auch ein: „Dieses starke Gefühl, dass die Kirche das nicht will und auch nicht schert, teile ich. Dennoch ist es ein Gefühl des Westens, die meisten Menschen in der Welt treiben ganz andere Fragen um.“ Seiner Kirche gibt er diesen Rat: „Sie muss sich ändern, ohne die Angst, das alles auseinanderfällt.“

„Bin ich glücklich? Ich bin rundum zufrieden. Wie jeder habe ich mein Päckchen zu tragen: menschlich, beziehungsmäßig, arbeitsmäßig. Aber ich bereue diese Lebensentscheidung, die ich mit 19 Jahren getroffen habe, keineswegs. Ich kann dieses Leben empfehlen, unbedingt!“

Schwester Franziska Dieterle (46) stammt aus einer großen Familie in einem kleinen, katholischen Dorf im Allgäu. Seit ihrem 26. Lebensjahr ist sie Mitglied der Franziskanischen Gemeinschaft – sie und die Mitbewohnerinnen leben nicht in Konventen (Wohngemeinschaften) und nennen sich Franziskus- oder Ordensschwestern). Der Begriff Nonne ist veraltet und historisch unkorrekt. Die Franziskaner ergehen auf Franz von Assisi (1181/1182 bis 1226) zurück, die Franziskusschwester aber sind viel jünger, zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründet. Der Nürnberger Konvent St. Klara befindet sich in Gostenhof und gehört zur Kongregation der St. Franziskusschwestern Vierzehnheiligen (Bad Staffelstein). Armut, Schwesterlichkeit, Keuschheit, Dienen sind die verfassten Leitlinien dieses Ordenslebens.

Der Kontakt mit Schwester Franziska ist ein Segen für unsere Aufgabe, denn ihre offene, lebhafte und von übertriebenen Rücksichtnahmen und Befindlichkeiten freie Art liefert die Grundlage für ein diskursives Gespräch. Hat man also Ideen, wie so ein Schwesternleben vielleicht verlaufen könnte und wie es sich mutmaßlich anfühlt, besuche man Franziska, sie hilft beim Überbordwerfen. Bis zum 26. Lebensjahr hatte sie mittlere Reife, Beruf der Erzieherin, Behindertenarbeit, ein gutes Jahr Arbeitseinsatz in Lateinamerika und ein freiwilliges kanonisches Jahr hinter sich. „Ich hätte mir, zum Zeitpunkt als ich in den Orden eintrat, alles Mögliche vorstellenkönnen. Ganz aussteigen und nach Südamerika abhauen, den Typen heiraten, in den ich gerade total verknallt war, oder Franziskanerschwester werden. Doch eines war mir klar: Es ist tragisch, wenn man den spirituellen Kern des Lebens aus den Augen verliert. Religion ist für mich organisierte Spiritualität.“ Der Weg in die Schwesterngemeinschaft – Eingliederung genannt – dauert ca. sieben Jahre. Voraussetzung für die Aufnahme ist unter anderem eine abgeschlossene Berufsbildung.

 

„Das Schwesternleben ist wie eine lange Ehe, mit vielen Aufs und Abs. Ordensschwester  zu sein ist im Gegensatz zum Priester kein Beruf, ich habe einen Lebensweg gewählt. Es ist das, was ich will“, stellt Schwester Franziska klar. Ihr derzeitiger Beruf ist die Leitung der Schwesternausbildung in Nürnberg. Eine der Novizinnen ist Jona Marie, 43, ihr (wie üblich) selbstgewählter Name erinnert an Jona (der vom Wal verschlungen wurde), dem es so schwer fiel, Gottes Auftrag zu erfüllen. Seit 2018 hat sie sich entschlossen, diesen Weg innerhalb der Gemeinschaft zu bestreiten. Die Marburgerin hat nach dem Abitur  eine Ausbildung zur Bürokauffrau absolviert, hat verschiedene Studiengänge versucht, u.a. Theologie  studiert; war Pastoralassistentin, „aber ich habe schon lange gespürt: da zieht es mich hin.“

„Das Schwesternleben ist wie eine lange Ehe, mit vielen Aufs und Abs. Ordensschwester ist im Gegensatz zum Priesterleben kein Beruf, ich habe einen Lebensweg gewählt. Es ist das, was ich will“, stellt Schwester Franziska klar. Ihr derzeitiger Beruf ist die Leitung der Schwesternausbildung in Nürnberg, aber Berufe außerhalb der Gemeinschaft sind durchaus die Regel. Eine der Novizinnen heißt Jona Marie, 43, ihr (wie üblich) selbstgewählter Name erinnert an Jona (der vom Wal verschlungen wurde), dem es so schwer fiel, Gott zu gehorchen, seinen Auftrag zu erfüllen. Seit 2018 hat sie sich entschlossen, diesen Weg innerhalb der Franziskanerschwestern zu bestreiten. Die Marburgerin hat nach dem Abitur eine Ausbildung zur Bürokauffrau absolviert, verschiedene Studiengänge versucht, u.a. Theologie studiert; war Pastoralassistentin, „aber ich habe schon lange gespürt: da zieht es mich hin.“

 

 

Gelebt wird die franziskanische Spiritualtät im gemeinsamen Gebet, in Gesprächen, bei Treffen mit anderen Schwestern aus und in aller Welt, im Gespräch, beim guten Zuhören. „Gott ist nicht der ferne Herrscher, er wird Mensch in einer begreifbaren Form“, „Gott ist immer in meinem Leben zu finden“, das sind Umschreibungen der Schwestern für tief empfundene Frömmigkeit. Der Alltag ist vergleichbar einer Frauen-WG, mit Teilung der Aufgaben im Haushalt, Filmeabenden, mit gemeinsamen Unternehmungen und Zeit für spirituelles Einkehren. Franziska erzählt, dass sie Joshua Kimmich schätzt, mit dem sie entfernt verwandt ist und die isländische Fußballnationalmannschaft, ein Filmfan ist („Nokan – Die Kunst des Ausklangs“, „Mr. May und das Flüstern der Ewigkeit“ und natürlich „Harold and Maude“), Instrumente spielt (Tenorhorn, Gitarre, Querflöte, sie will unbedingt Klavier lernen) und Zumba zum auspowern mag. Sie singt im Kirchenchor und spielt im Blasorchester, geht gerne schwimmen und spazieren – und jetzt lacht sie laut und sagt schnell: „Es ist eben auch wie in einer Ehe, man muss sehen, dass man nicht so vielem Interessantem nachgibt, damit für die Beziehung genug bleibt.“

Kürzlich war sie mit Novizinnen auf der dritten Versammlung des „Synodalen Wegs“, jenem Gesprächsforum der Katholiken, um nach den Erschütterungen durch die Bekanntwerden der Missbrauchsfälle über notwendige Neuerungen zu diskutieren. Sie fiel auf, mit ihrer regenbogenbunten Schutzmaske einer Frau in Schwesterntracht und es kam zu einem viel beachteten Interview über Sexualität als Ordensschwester (auf katholisch.de zu finden). „Gott ist es egal, ob ich Sex habe“, denkt sie. Sie will Sexualität und Fruchtbarkeit weiter fassen, Sex und Sexualität unterscheiden und plädiert energisch für „eine im weitesten Sinne Kultur der Zärtlichkeit“. Sie räumt ein, dass ihre Lebensform, „ohne Partner, ohne partnerschaftlich gewählter Sexualität, grundsätzlich widernatürlich“ sei. Es gelte einen „guten Umgang damit zu finden. Menschen, Nähe auch körperlich zu spüren. Und für mich heißt es eben auch, fruchtbar zu sein, indem ich dem Leben diene.“

Lange war das Schwesternleben für Frauen die Chance einen Beruf zu ergreifen, eine Form emanzipiert zu leben und seinen eigenen spirituellen Weg zu finden. „Das stimmt alles noch irgendwie, aber heute sind wir weiter. „Es ist wie verlieben. Dann bleibt man. Irgendwann merkt man: das passt!“, erzählt Schwester Jona Marie. Auf der Website der Franziskusschwester steht ein Zitat des Heiligen Franz von Assisi, das den Geist schön aufnimmt: „Wenn es dir guttut, dann komm“.

Nun, nachdem wir die Lupe der näheren Betrachtung über drei Menschen in der katholischen Kirche gehalten haben, sind die offenen Fragen eher nicht weniger geworden. Pfarrer Körber hat uns weiter geholfen, mit seiner Empfindung, dass es uns Menschen heute auch daran ermangele, einmal etwas auszuhalten. Er meinte damit keineswegs die Opfer sexuellen Missbrauchs, er wollte er eine Empfehlung aussprechen, manchmal eine Zeit zu überstehen, die schwer fällt. Dazu kann gehören, dass Vertreter der Kirche so offensichtlich versagen. Radikale „Gedanken über die Religion“ hat Jörg Alt parat, christliches Glauben fordert,  es bedeutet „denkt um und kehrt um“. Bequem wird es nicht, aber was von Bedeutung ist schon bequem.