Warum spielt der Mensch?

Familie von Neuhaus ist eine Spielerfamilie: sie verbringen viel Freizeit im Ali Baba Spieletreff, zu Hause am großen Spiele-Tisch, fahren auf Spiele-Wochenenden und die Eltern haben sich als Paar einst beim Spielen gefunden.

Warum wir spielen?

Eine Ausstellung im Spielzeugmuseum geht auch dieser Frage nach – die Antworten sind so vielfältig wie die Menschen selbst

 

Mensch ärgere Dich nicht! Schach. Schafkopf. Boccia. Was soll das? Warum spielt der Mensch, verwendet seine freie Zeit so gern aufs lustvolle sich Ausprobieren am Gegner, an Regeln und Heraus­forderungen? Antworten auf eine Frage, die ins Zentrum unseres Daseins führt.

Warum spielst Du? Wenn man sich gesprächsweise mit dieser Frage beschäftigt, erfährt man früh zweierlei. Die einen sagen: „Das möchte ich auch gern wissen“ – denn sie können weder mit Familien-Brettspiel, mit Schach, Schafkopf, Würfeln … etwas anfangen. „Zeitver­schwendung“, sagte kopfschüttelnd eine von über 100 Befragten für die Ausstellung „Nürnberg hat das Zeug zum Spielen“, die ab dem 16. November im Spielzeugmuseum gezeigt wird. „Das hält mich von Dingen ab, die ich viel lieber tu: Lesen, Kino, Musik hören…“ Die anderen, oft leiden­schaft­liche Spieler – geben 1001 Antworten. So kann man sagen: Spielen rührt durchaus an die Urgründe des Menschen – aber der individuelle Antrieb ist so unterschiedlich wie der Mensch selbst.

Dass der Mensch – einerseits – höchst individuell agiert – gleichzeitig: in seinem Ursprung große Übereinstimmungen aufweist, gehört zu den elementaren Erkenntnissen der Nürnberger Maskenkünstlerin Susanne Carl. Ihr Spiel, in zahlreichen Varianten über viele Jahre erprobt, zuletzt bei „ichDÜRERdu“ auf dem Nürnberger Herbstvolksfest: „Der Mensch hinter (s)einer Maske“. Fürs Verkleiden am Volksfest in einem schlichten Pavillon lag eine einfache Einheitsmaske bereit. Diese konnte mit Perücken und Kleidung ergänzt werden. Das Faszinierende: Der Mensch dahinter entdeckt sich neu, vor allem seine Emotionen. Geschützt durch den Entzug von Individualität und Erkennbarkeit, erlebt er sich und seine Umgebung ganz urtümlich frei. „Die Menschen kamen in Scharen, haben sofort mitgemacht. Ganz intuitiv den Sinn dieser Aktion verstanden“, schwärmt Carl über ihr Spiel mit der Verkleidung. Der Fotograf Berny Meyer hat die Verkleideten porträtiert, in ängstlichen, heroischen, glücklichen und verzweifelten Posen. (Ergebnisse dieser Masken-Kunst im öffentlichen Raum sind ab 9. November im Dürerhaus als Ausstellung zu sehen).

Der Klassiker der wissen­schaftlichen Betrachtung des „Wesens des Spiels“ stammt von Johan Huizinga. Die Niederschrift dazu heißt „Homo Ludens – vom Ursprung der Kultur im Spiel“, erstmals veröffentlicht 1938. 1872 in Groningen in den Niederlanden geboren, geht der Kultur­wissenschaftler dem Geheimnis des Spielens auf die Spur: „Nun gut, was ist nun eigentlich der Witz des Spielens“, fragt er und schließt aus der Wortdeutung von niederländisch „aardigheid“ (Witz), was von „Art“ und „Wesen“ herstammt, „dass die Sache nicht weiter rückführbar ist.“ Und weiter: „Wir spielen und wissen, dass wir spielen, also sind wir mehr als nur vernünftige Wesen, denn das Spiel ist unvernünftig“. Oh Du herrliche Unvernunft – da fällt einem vieles auf, während man auf die Menschen schaut, die spielen und darüber sinnieren.

Was dem einen die Wissenschaft, ist den anderen unmittelbares Erleben: Die in Fürth lebende Familie von Neuhaus hat sich im Spiel erfunden. Im Jahr 1994 war Eva noch in der Ausbildung zur Krankenschwester. Bodo war in den Endzügen seines Ingenieur­studiums mit der Diplomarbeit beschäftigt. Beide spielten gerne und gingen dazu vorzugsweise zum Nürnberger Ali Baba Spieleclub. Dieser Klub ist mit über 700 Mitgliedern und etlichen Ablegern Deutschlands größter Verein dieser Art. Bis heute trifft man sich zweimal in der Woche im Pellerhaus zu vergnüglichen Spieleabenden (Infos unter www.ali-baba-spieleclub.de). Viele Freundeskreise finden dort zusammen – oder entdecken einander neu. Bei Eva und Bodo dauerte es einige Jahre regel­mäßigen Spielens, bis sie 1999 als Paar zusammenkamen. „Am 2.2.2002 haben wir geheiratet“, strahlt Eva von Neuhaus heute und neben ihr freuen sich Noah (13) und Benjamin (11), die beiden Söhne. Mindestens in diesem Fall ist das Spiel die Keimzelle einer Familie. Bis heute ist Spielen der größte Freizeitspaß der beruflich sehr engagierten Eheleute. Sie – inzwischen Sonderschullehrerin – erkennt durchaus pädagogischen Nutzen im fröhlichen Wettkampf: „Ganz pragmatisch kann ich mit der Ankündigung eines Spiele­abends die Jungs jederzeit vom Computer weglocken“, erzählt sie. Aber auch „friedlicher Wettstreit, Denk- und Merkschulung“ und das gemeinsame Erleben werden gefördert. Das Spielen durchzieht bei von Neuhausens wie goldener Faden das Leben: Zweimal im Jahr verbringen sie mit Gleichgesinnten verlängerte Spiele-Wochenenden. Und als es im Sommer an die Ostsee ging, war ein Teil des Urlaubs der Ferienaktion „Spielen und Meer“ gewidmet. „Spielen macht gleich“, sagt Eva von Neuhaus: „Einkommen, Bildung, politische Ansichten sind erst einmal irrelevant. Man trifft sich, um sich im Spiel zu vergnügen und zu messen.“ Als große Gemein­samkeit der Szene beschreibt sie „soziale Kompetenz. Viele Spielefreunde sind freundliche, nette, lustige Menschen.“

Lustig sind meistens auch die „Wald­wichtel“, die morgens von ihren Eltern im Forst am Tier­garten-Parkplatz abgeliefert werden. Der Tag beginnt – fast immer draußen – mit einem Treff und einer Besprechung – dann wird entschieden, wo heute das gemeinsame Frühstück eingenommen wird, stets unter Bäumen. Danach wird gespielt – mit dem was der Wald hergibt, mit Ästen, Laub, Eicheln und mitgebrachten Schaufeln oder Schnitzmessern. Die Erzieher Anke Fritzsche und Florian Nägele, die die Kinder im „Naturkindergarten Waldwichtel e.V. seit vielen Jahren betreuen, haben beobachtet, was das Spielen in der Gruppe und im Freien für Menschen hervorbringt: „Unsere Kinder können sich in der Regel sehr gut konzentrieren, besitzen viel Kreativität, haben mehr Sitzfleisch und meistens einen Plan“, formuliert Nägele als Gewinn fürs Leben dieser Freiluft-Gemeinschaft. „Die Kunst ist: Wir spielen nicht mit“, erklärt Fritzsche, wir regen höchstens an.

100 Spielerporträts begleiten die Ausstellung im Spielemuseum. Neben Susanne Carl, den Waldwichteln sind auch die Festzeltwirte Fritz und Julian Stahlmann befragt worden. Viel Freizeit haben sie nicht, aber regelmäßige Schafkopftreffen müssen sein. Warum? „Weil es das geilste Spiel der Welt ist“, sagt der Hax’n Liebermann-Boss knapp. Der Komödiant Sebastian Reich spielt mit seiner Nilpferdpuppe Amanda – als Beruf und zum Vergnügen des Publikums. Maria Schalk, Gründungsmitglied des Elisen Quartetts, spielt Geige, seitdem sie als Vierjährige ein andres Mädchen fiedeln hörte – und so ihre Bestimmung entdeckte. Sigrid Schilmeier und Brigitte Sulzer, ehrenamtliche Mesnerinnen in Veitsbronn, spielen Kirchentheater – und sammeln für die Renovierung. Der Podologe Alvin Frauenknecht hat in seinem Einzimmer­apparte­ment eine Autorenn-Simulation für teures Geld stehen, mit der man sich weltweit zu virtuellen Autorennen auf echten Kursen verabreden kann. Und die sechs­jährige Veronika Graf spielt mit ihrer Kinderkamera, weil sie da Filmregisseurin und Kamerafrau in einem sein kann.

Nicht Wissenschaft, nicht Storytelling werden am Urgrund des Spiels auf eine Erklärung treffen. Max J. Kobbert, Professor für Wahrnehmungspsychologie, frönt in der Freizeit einem Hobby, das gleichzeitig strategischen Ernst und Neigung zum Vergnüglichen erfordert. Er erfindet Brettspiele und sein berühmtestes kennt jedes Kind: „Das verrückte Labyrinth“. Er hat selbst viel über das Spielen nachgedacht, doch seine liebste Erklärung ist ein Zitat des 1913 geborenen französischen Soziologen Roger Caillois (verstorben 1978). Von ihm stammt der epochale Satz: „Der Zweck des Spielens ist das Spiel selbst“.

 

INFO

Das Nürnberger Spielzeug­museum wird sich ab dem 16. November 2018 dem Thema in einer Sonderausstellung widmen:
„Wer wagt, gewinnt! Nürnberg hat das Zeug zum Spielen“ Karin Falkenberg, die Leiterin des Museums und Kuratorin der Ausstellung, hat sich ihre eigenen Gedanken zum „Spielen“ gemacht: Spielen hat Kraft und Magie – Spielen ist eine Grundlage für alle Menschen. Spielen ist nicht alles im Leben – aber fast alles. Warum? Weil wir spielerisch durch’s Leben gehen. Das ist uns oft nicht klar, und in seiner riesigen Bandbreite auch oft nicht bewusst. Wir spielen Brettspiele, Computer–spiele und wir lieben Spielzeug. Wir haben Gedankenspiele und sehen uns Spielfilme an, wir geben Beispiele, wir spielen uns etwas vor, wir spielen auf Instrumenten, in Sportteams und mit der Liebe, wir spielen um unser Glück, wir spielen Golf und wir spielen das Lied vom Tod. Manchmal ist sogar Arbeit spielerisch zu bewältigen. Spielen ist ein allgegenwärtiger Teil unseres Lebens. Im Spiel ist fast alles erlaubt, was wir uns wünschen und was wir mal ausprobieren wollen – und zwar ohne die Folgen, die es im richtigen Leben hätte.“