Ecstatic Dance

Eine Gruppe aus der Region hat einen freien Tanztreff gegründet, der im Corona-Sommer in die Pegnitzwiesen wanderte

Hinterm neuen Radweg, zwischen Röllinger Steg und Pappelsteig auf den Sportwiesen im Fürther Wiesengrund, war an schönen Sommerabenden zuletzt manchmal ein Spektakel zu beobachten, das lautlos vor sich ging und auf eine geheimnisvolle Weise große Energie ausstrahlte. Etwa 40 Leute, jüngere, ältere, ungefähr zur Hälfte männlich und weiblich, bewegten sich, Abstand haltend, tanzend auf den Wiesen. Jeder einzelne folgte scheinbar inneren Impulsen, die „Moves“ waren nicht aufeinander abgestimmt. Erst beim Näherkommen entdeckte man, dass jeder einen Kopfhörer trug und am Rande des Geschehens ein professionelles DJ-Pult aufgebaut war. „Ecstatic Dance“ ist eine Tanzbewegung, die historische Wurzeln in Amerika und Hawaii hat, heute vor allem in Berlin, Amsterdam, Kalifornien und auf Goa große Anhängerscharen mobilisiert – und seit Oktober 2019 auch in der Metropolregion eine wachsende Gruppe von Mittänzern gefunden hat.

Das Besondere dieser Art Tanzfreude ist die absolute individuelle Freiheit der Bewegung. Die Organisatorinnen Sarah Adler, Alina Hoffmann, Conny Götschel und Christina Hüttner sind sich über ihre gemeinsame Leidenschaft zum Tanz begegnet. Sie haben Ecstatic Dance hier in Mittelfranken ins Leben gerufen und organisieren die Events. Christina Hüttner etwa, die beruflich als Projektleiterin in einem internationalen Konzern arbeitet, hatte früh mit Ballett und Hip-Hop zu tun und hat später auch den Ausdruckstanz entdeckt. Zuletzt absolvierte sie auch eine tanztherapeutische Ausbildung. „Ich habe seit meiner Kindheit immer getanzt“, erzählt sie und betont, dass es mehr, etwas anderes als ein Hobby ist: „Unsere Kultur ist ja recht körperlos. Durchs freie Tanzen erhält der Kopf eine Pause, der Körper folgt der Musik, seinen innersten Antreibern und der Geist wird frei“, formuliert sie den ihr wichtigen spirituellen Aspekt. „Die Bewegung, die Befreiung von Spannungen, Verkrampfungen, die sich im Beruf und Alltag einfach so einfinden, die Stärkung der Muskeln, die Beweglichkeit, das Erarbeiten von Kondition und vor allem das Abschalten der Gedanken –  geschieht beim ‚Ecstatic Dance‘ ganz wunderbar wie nebenbei.“

Zum inneren Team gehört DJ Dr. Zons, ein freier Schauspieler und Musiker mit dem Realnamen Joachim Zons. Er ist gemeinsam mit Alina, die von einem längeren Studienaufenthalt aus Berlin zurückkam, der Ecstatic Dance DJ und erarbeitet das Musikprogramm: So ein Dance-Set kann man sich wie einen Klangteppich vorstellen, gewebt aus unterschiedlichen Kultureinflüssen, afrikanisch, südamerikanisch, Pop, Jazz, Klassik. Der Abend folgt einem Schema, mit leisen Phasen des Eintastens, mit Steigerungen, ekstatischen Höhepunkten und abwärts fallenden Kaskaden bis zum ruhigen Ende – solche Sets sind Gesamtkunstwerke: „Obwohl die Auswahl auch Aspekte meines Bauchgefühls enthält, ist bei der Abfolge nichts dem Zufall überlassen, alles bedacht. Man versucht und verwirft, bessert nach und optimiert“, beschreibt er einen aufwändigen Gestaltungs­prozess.

„Ecstatic Dance“, das sich schlecht ins Deutsche übersetzen lässt, „ekstatisches Tanzen“ klingt ganz falsch, ist eine Kombination aus gemeinsamen Selbstverpflichtungen, was das Verhalten und absoluter Freiheit, was die Formen und Ausgestaltung der Bewegung betrifft. Man kann alleine Tanzen oder miteinander, manche nutzen Reifen oder Bänder aus der Sportgymnastik, wichtig ist, sich auf die Musik einzulassen, sodass irgendwann der Körper, den Klängen folgend, seine eigene Sprache spricht. Die Sessions dauern insgesamt etwa 90 Minuten, mit Begrüßung im Kreis (Opening Circle), Einstimmen (Movement Intro), Tanzen (DJ Set Free Dance), meditativem Ende (Closing Circle). Die Regeln schließen kategorisch Drogen aus, inklusive Alkohol und Nikotin. Während des Tanzens wird auch nicht gegessen, geredet, Handys bleiben außen vor – konzentrierte Versenkung ist erwünscht. „Ecstatic Dance Sessions“ sind keine Single-Parties, Zurückhaltung wird erwartet. Wer jemanden zum Mittanzen auffordern möchte, tut dies mit leisen Gesten. Anders als beispielsweise beim Yoga, einem globalen Milliarden-Business, erheben die Veranstalter nur einen kleinen Obolus, etwa für Raummiete oder die Kopfhörer, die ein professioneller Dienstleister liefert. Zuletzt waren es 8-10 Euro pro Session. Im Anschluss an manche Tanzrunde wird noch ein Zusammensein angeboten, wo jeder einen Essenbeitrag leistet, Musik gespielt und sich unterhalten wird. Die Orte des Zusammentreffens waren erst im Nürnberger Theater Thevo, später in der Fürther Tanzzentrale und dann, Corona-Regelkonform, auf den großen Wiesenflächen im Pegnitztal. Für die Schlechtwetterzeit wird noch ein „bezahlbarer Raum“ gesucht, wo etwa 40 Personen tanzen könnten“, hofft Christina, dass sich jemand meldet.

Ende September fand der Abschied von der Sommersaison in den Wiesen statt. Langsam fiel Dunkelheit über die Tanzenden, man sah nur noch etwa 30 blau leuchtende Kopfhörer auf scheinbar körperlosen Köpfen in der Nacht wippen. Um wirklich zu erfahren, welche Prozesse die Bewegung, die Versunkenheit auslösen können, muss man sich einlassen, auf dieses besondere Gemeinschaftserlebnis. Auf Facebook kann man sich der privaten Gruppe „Ecstatic Dance Nü / Fü / Er“ anschließen und erfährt dort jeweils, wann der nächste Tanztreff stattfindet.
(Link: www.facebook.com/groups/949677952056195)

 

Mehr Infos per Mail: ecstatic.dance.fne@gmail.com