Am Freitag 22. Juni 2018 mit Budde Thiem beim Kulturpalast in Anwanden. Fotos: Budig
Der Klangmeister
Der Saxophonist Norbert Nagel hat das Crossover-Spiel perfektioniert. Jetzt erhält er den Großen Kulturpreis der Stadt Fürth 2024.
Inzwischen klingt sowas ja wie ein ganz normales, etwas breiter aufgestelltes Musikerleben: Heute ein Auftritt mit der Thilo Wolf Band, gestern eine Tournee mit der Star-Sopranistin Angela Denoke, der er bei ihrem Kurt Weill-Programm in den großen Konzerthäusern der Welt assistierte, ein schneller Auftritt mit besten Musikerfreunden im Hubertussaal in Nürnberg; ein Projekt mit Klassik, Jazz und experimenteller elektronischer Musik mit seinem Sohn Frieder beim Silvestival in Nürnberg, ein Konzert mit den Berliner Philharmonikern …
So lebt Norbert Nagel, ein Berufsmusiker, der ohne Netz wie „Lehrer an einer Musikschule“ auskommt. Der Wohnsitze in Ludwigsburg, Altdorf und Berlin unterhält. Der schon als Jugendlicher so den Lebensunterhalt bestritt: „Morgens Kirche, mittags Bierzelt, abends Brahms“. Die Leute hier kennen ihn vor allem als exzellenten Saxophon- und Klarinette-Spieler, doch ebenso selbstverständlich steht auf seiner Bühne oft ein E-Piano oder Flügel für sein Spiel bereit.
Klangmeister Norbert Nagel, zu Besuch in der „Wiederer Villa“ in Fürth
Im Februar 1961 kam Norbert Nagel in Vilseck in der Oberpfalz zur Welt. Auf seinem Lebensweg wurde er – welch ein Glück – bedingungslos vom Vater unterstützt: Dieser, ein Nebenerwerbslandwirt und Versicherungskaufmann, sehnte sich selbst nach einem Leben als Berufs-Geiger. Als Nagel mit 15 die Schule schmiss, sagte er nur: „Du wirst eh Musiker, was brauchst Du Abitur.“ Also begleitete er den Jungen ins Konservatorium nach Nürnberg, das war damals die (musikalische) Welt, sprach ohne Termin vor und insistierte: „Mein Sohn muss ein Musiker werden“. Man ließ den jungen Nagel vorspielen und behielt ihn gleich da… Ordentlich studiert hat er außerdem noch, Klassik in Nürnberg, Jazz in München und Köln, Saxophon, Klarinette und Klavier; als Junge hat er noch Schlagzeug gelernt. 1987 gründete er mit seinem Bruder Karsten das Roseau Quintett.
Warum das alles funktioniert? Weil er so vielseitig ist, ein Meister der Klänge, ein Stimmungs-Macher, ein Geschichtenerzähler mit Tönen, und ebenso – auf den Punkt – ein Diener seiner Herren, wenn er gerufen wird: Mit Konstantin Wecker ging Nagel jahrelang auf Tournee, ebenso mit Udo Jürgens, mit dem göttlichen Akkordeonisten Juri Kravets (verstorben 2012 in Nürnberg), mit Lou Bega war er im Studio, auf einen „Mambo Nr. 5“ … Das waren wilde Jahre – doch irgendwie kam es nicht dazu, dass Nagel, der auch als Dirigent und Arrangeur regelmäßig Aufträge erhält, sein eigenes Ich als Marke etablierte. „Ich war in vielen Ensembles durchaus tonangebend, als Musiker und auch als Persönlichkeit. Das war mir klar – aber „Nagel & Friends“, so ein Projekt hätte ich nie angepackt.“ Das Erwachen kam erst vor etwa zehn Jahren: Das Tourneeleben, aus dem Koffer, schnell und emotional aufreibend, hatte Nagel wie im Rausch durchlebt. „Mein Sohn Frieder hat irgendwann gesagt, ‚Papa, warum machst Du keine eigene Band‘ – und in mir war klar, dass das nur bei klarem Geiste funktioniert.“ Yoga und Meditation, Ruhe und Konzentration führten ihn in eine neu Dimensionen – auch der Arbeit.
Norbert Nagel und seine „Lieblingslieder“-Band: Norbert Gabla, Marco Kühnl, Andreas Blüml.
Erst seit einigen Jahren also tritt Norbert Nagel mit Musikformaten in Erscheinung, bei denen er federführend und namensgebend das Heft in die Hand nimmt. „Lieblingslieder“ heißt eines jener abendfüllenden Programme, kürzlich vom Gostner Hoftheater arrangiert und im Hubertussaal vorgetragen. Seine Boy Gang, das sind recht eigenwillige Musikerköpfe, ein paar der Besten von vielen sehr guten, die die Region zu bieten hat: neben Norbert Nagel (Klarinette, Saxophon, Klavier und Kofferdrums) ist die Combo mit Andreas Blüml (Gitarren), Marco Kühnl (Kontrabass) und Norbert Gabla (Bandoneon) instrumental so exaltiert besetzt, dass man ausgefeilte muskalische Konzepte vermuten darf. Das Konzert beginnt mit einer Aussage. Gleich die Nagel-Version von Stings „Fragile“, ein Song, der in keinem Best-of fehlen darf und gerade deshalb etwas über den Arrangeur und Interpreten verrät: Nagel am Klavier. Er jazzt ein bissel im musikalischen Nirwana herum, bis Blüml die Zuhörer mit dem berühmten Thema – aha! – erlöst. Nagel springt vom Piano zum Hocker, greift zum Tenorsaxophon und tief und rumpelnd haut er die ganze Romanze raus, die jeder kennt und mitsummt; „for never forget, how fragile you are“ und dann schummelt sich Gabla mit leisen, schüchternen Tönen mit seinem Tango-Bandoneon von hinten herein, und tut so, als wäre er bescheiden. Wow.
Nagels Lieblingslieder: Natürlich Blackbird von den Beatles, einiges von Astor Piazzolla (Bordell), Mozart (Alla Turca, Klarinettenkonzert), jede Menge Bach (O Haupt voll Blut und Wunden, Matthäuspassion; Badinerie aus der h-Moll-Suite …), Glen Millers Moonlight Serenade, Dave Brubeck (Blue Rondo). Das ist schon mutig gemischt. „Ich hab“, sagt Nagel mit einem Blick aufs ganze Musikerleben, „immer das gemacht, was man heute Crossover nennt. Der Ausdruck ist allerdings ein Krampf! Genauso wie Weltmusik. Hinter dem kreuz und quer-spielen steckt doch eine Haltung, die meinetwegen arrogant genannt werden kann: ‚Ich kann alles spielen‘. Aber es ist ja so.“
Infos:
Norbert Nagel erhält am 17.11.2024 den „Großen Kulturpreis der Stadt Fürth“, abends im Kulturforum.