Budde Thiem zum 60.

Ein Weltstar, versteckt in Franken

Ein Loblied auf Budde Thiem, der am Sonntag, 30.7.2017, seinen 60. Geburtstag feiert

Tief im Westen, dort wo alljährlich eines der schönsten Landspektakel stattfindet, der „Kulturpalast Anwanden“ nämlich, dort wohnt auch der Musiker, Arrangeur, Comiczeichner und Texter Uwe Thiem, den alle nur „Budde“ nennen. Das passt natürlich gar nicht – wilder Westen vielleicht schon, aber „Palast“ und „Kultur“ sind keine Leitplanken im Leben dieses ebenso wunderlichen wie wundervollen Musikers. „Mit dem Kultur- und Künstlerding“, sagt er gleich anfangs,  „konnte ich noch nie was anfangen“. „Das“, also das alles, was er so macht, sei einfach sein Beruf;  solides, gutes Handwerk.

Klassik und Blues: Budde Thiem mit dem Elisenquartett. Foto: Budig

Andere beurteilen das – irgendwie größer. Lizzy Aumeier, oberpfälzisch-fränkische Kontrabassistin und Kabarett-Diva, für die er Etliches an Melodien geschrieben, an Texten  zu Programmen beigesteuert und der er vor allem die musikalischen Passagen in ihren Liveprogrammen arrangiert hat, drückt es so aus: „Der Budde müsste, wenn es mit rechten Dingen zuginge,  als Großimpressario in Hollywood leben. In einer Riesenvilla mit 20 Autos in der Garage und für all die Größen dort arbeiten.“ Und Maria Schalk, klassische Geigerin und Gründungsmitglied des Elisen Quartetts, Thiems Kollegin an der Musikschule Fürth und durch gewagte Arrangements, worüber noch zu reden sein wird, mit ihm verbandelt, fasst es knapper: „Der Budde ist ein Genie.“

Die Leute kennen Budde Thiem als den Mann am Klavier. Der fränkische „Piano Man“. Viele Haare, struppiger Bart, ein bisschen zerzauselt, alles recht grau inzwischen und immer so eine ärmellose Jacke tragend,  mit vielen Taschen, wie sie Angler gerne anhaben.  Er hat mit dem im letzten Sommer verstorbenen Conny Wagner in etlichen Formationen gespielt. Mal Jazz, mal Swing, mal den genialen Blödsinn, den sie mit der „Peterlesboum Revival Band“ auf die Bühne bringen. Dazu sind Budde Thiem solche Texte eingefallen: „Schau hie, wie der schwanzt mit dem Ball. Nou wird er glei fallen, über seine eigene Hax’n. … Beim Club, da wird net g’spielt wie in Brazil, denn die ham net a so a Gfühl, … beim Clubb, da wird halt bolzt.“ Oder das: „Oho, bist a Ählien, ä Eisbär in Austrälien, kummst der vor, wie a Nembercher in Fädd“  – zur Melodie von Stings „Englishman in New York“. Zwischen dem stets perfekt gekleideten Trompeter Conny Wagner, dem spindeligen Trommelclown Yogo Pausch, dem unbeirrbaren Bassisten Norbert Meyer-Venus und dem lustigen Gitarristen Uwe Kamolz steht Budde am Klavier, ein Fels ohne Brandung.

Das Budde-Kreativ-Universum arbeitet im Stillen. Der Tausendsassa, der seit Jahren jährlich einen kultigen Comic-Kalender für die Musikschule Fürth zeichnet, der unermüdlich textet und arrangiert, redet nicht so gern, vor allem nichts Unnötiges. Während er schweigt, entstehen in seinem Kopf die unglaublichsten Kapriolen und Kombinationen. Mehrere Comic-Ausstellungen, im Zeltner Schloss, der Fürther Bibliothek, sind das Ergebnis dieser ausufernden Schaffenskraft. Zehn Jahre war er musikalischer Leiter am Schauspielhaus Nürnberg und bei Jutta Czurdas Tanztheater. Dann zog er wieder weiter, um ganz andere Projekte zu verwirklichen. „String overdrive“ zum Beispiel: Frankens Rock-Legende Keili Keilhofer und Band, ein Mann, der aus dem Bauch und ohne Noten arbeitet, kombiniert mit den vier studierten Klassik-Musikerinnen des Fürther Elisen Quartetts. Die Auftritte der Streicherinnen mit den Rockern sind Legende. Bei der Stückeauswahl, mal werden Keilis Bluesballaden für die Kammermusik aufbereitet, mal Mozart oder Beethoven für Keilis E-Gitarre ummontiert, ist Budde aufgefallen, dass Vivaldis Frühlings-Part aus den „Vier Jahreszeiten“ und Carlos Santanas „Samba pa ti“ praktisch eins sind. Was dieses Arrangieren bedeutet, was also ein „guter“ Klang-Kombinierer vermag und ein schlechter ins Unhörbare verhunzt, das werden Nichtmusiker nie begreifen. Aber die Profis wissen es sehr zu schätzen, auch deshalb ist Budde Thiem für sie der Großmeister inter Pares. Mitunter auch der Taktgeber, ein lächelnder, weisungsbefugter Nicht-Bandleader, „denn einer muss es ihnen ja sagen, wenn sie aus der Spur geraten“, spottet er lachend. Die klare Ansage, ohne groß den Chef raushängen zu lassen, das macht Budde Thiem aus der „la Mäng“, wie der Franke sagt, also mit leichter Hand.

Das Thiemsche Musikerleben ist quasi Familienerbe. Der Großvater spielte nebenbei Musik mit Bass und Bandoneon. Der Vater war Berufsmusiker, versiert auf der Geige, Saxophon, Klarinette. Im Alter von drei bis sechs tingelte der kleine Budde mit ihm über die Lande. In Bochum geboren, in Eibach aufgewachsen, in Schwabach aufs Gymnasium gegangen, hat er früh Klavierunterricht genossen. Nach dem Abitur studierte er Musikpädagogik in Nürnberg, schloss mit dem Zweiten Staatsexamen ab und wusste sicher, dass er nie an einer Schule lehren wollte. Das tut er trotzdem, von 1986 bis heute, in Teilzeit an der Musikschule Fürth. Natalia Sankowski, eine klassisch ausgebildete Pianistin, war viele Jahre seine Marimba-Schülerin. Sie und Ihre Schwester Anna profitierten gemeinsam mit den Budde-Klavierschülern Daniel und Michael Schmidt von seinen schrägen Ideen: Ihre Band „4rythm“ existiert nun seit über 20 Jahren. Klavier, Marimba und jede Menge Percussion, klassische Akkuratesse (Sankowskis) und wilde Improvisation (Schmidts) – die buddetypische Verbindung der disparaten Gegensätze.

Kein Wunder, dass so ein Mensch auch besondere Vorlieben besitzt: Dass er das Kabarett liebt, die Wortkunst, die zu seiner Musikauffassung bestens passt, darunter am liebsten Valentin, Qualtinger, Polt, Hader, die Größten unter den Verwirrspielern, ist ja noch naheliegend. Japanische Godzilla-Horrorfilme (alt, schwarz-weiß) anschauen, afrikanische und südamerikanische Fußballligen verfolgen und Brettspiele erfinden gehört zu seinen privaten Vorlieben. Außerdem hat er einen Hang zum Zocken. Schafkopfen, Fußballwetten ziehen ihn magisch an. Überhaupt der Fußball: ein ewiger Mittelstürmer ist Budde Thiem, bis heute in einer Privatmannschaft aktiv, ein Techniker, der vorne lauert, unangepasst und immer für eine Überraschung gut.

Als das Loft – die Keller-Musikkneipe des Gostner Hoftheaters – vor ein paar Jahren seine beliebten Jazz-Impro-Abende beenden musste, weil ein Nachbar die Lautstärke nicht ertrug, erfand er den leisen „Buddes Kammergroove“. Einmal im Monat tritt er seither auf, mit wechselnden Freunden aus der Szene und sucht auch da das vermeintlich Unvereinbare. (Nächster Termin: 25. Mai, 20 Uhr mit Lizzy Aumeier: „Mehr Bass als Kontra“). Unter den Musikergrößen in Franken gibt es kaum einen, mit dem er noch keine schräge Verbindung eingegangen ist: Norbert Nagel, Andreas Blüml, Christoph Müller, Udo Schwendler, Kathrin Kohlmann … Was dabei dann entsteht, ist zweitrangig, Jazz, Swing, Chanson, Kammermusik, Schlager, Kabarettbegleitung, nichts und niemand ist vor dem berühmten Buddesound sicher. Crossover ist sein zweiter Name. Das hat er auch jahrelang mit einem ganz Großen der lokalen Musikszene im Duo zelebriert: Max Kienastl, klassischer Geiger mit Ambitionen in alle Stilrichtungen, war fast 30 Jahre (1966-94) erster Violinist der Bamberger Symphoniker und über 25 Jahre lang ein häufiger Partner an Budde Thiems Seite, wenn es zu wilden Jazzabenden in der Region ging.

In seinem fränkischen Häuschen, das aus zahllosen winzigen Zimmern besteht, gibt es einen Zwischenraum, der Flur und Billard-Wohn-Arbeitszimmer verbindet. Dort hat sich Budde, der ewige Tüftler, ein selbsterfundenes Wechselregal geschreinert, welches die Cover der CDs zeigt, die sich gerade in seinem 200-Scheiben-Wechsler befinden. Alle paar Monate werden sie ausgetauscht und dann wird dem Zufall wieder seine Chance geschenkt, was gerade gespielt wird. Man wird schon hören, was als nächstes dran ist – und sehen, was dabei ganz nebenbei entsteht. Kaum zu glauben, am Sonntag wird der junge Kerl schon 60 Jahre alt.