Solid Sky: Prüfungen eines Weitgereisten

In New York City, 550 Madison Avenue, schmückt neuerdings ein Kunstwerk von Alicja Kwade das riesige Foyer des Wolkenkratzers. Das Projekt gelang mit Hilfe des Könnens Vieler, darunter Gregor Stolarski von der LGA

 

Das Projekt

Solid Sky ist auf den ersten Blick eine durchdringend blaue, kugelförmige Skulptur, fixiert durch handgeschmiedete Stahlketten, aufgehängt gut dreieinhalb Meter über dem Boden im Foyer des Hochhauses mit der Adresse 550 Madison Avenue, Manhattan, New York City. Das Werk stammt von der polnisch-deutschen Ausnahmekünstlerin Alicja Kwade. Ihre Bewerbung im Jahr 2019 zeigt bereits detaillierte Vorstellungen zum Ablauf eines atemberaubenden Projekts.

Die Solid Sky New York Fotos sind, herzlichen Dank, von
©James-Ewing-courtesy-of-Gensler-scaled.jpg

Das Rohmaterial entstand im Verlauf von geschätzt 1,2 Milliarden Jahren „aus einem quarzreichen Sandstein, der sich unter Hitze und Druck zu einem Quarzit, mit völlig anderen gesteinstechnischen Eigenschaften umwandelte“ (wikipedia.org). Nach dem Fund- und Abbauort westlich von Macaúbas im Bundesstaat Bahia heißt der Stein „Azul do Macaubas“. Aus den Steinbrüchen wurde ein gut 50-Tonnen schwerer Quader herausgeschnitten, der größte Einzelblock, der aus diesem Material jemals erstellt wurde. Daraus wurde nach Vorgaben der Künstlerin von schlesischen Steinschneidern eine 2,5 Meter Durchmesser große, 24 Tonnen schwere Kugel geschliffen.

Der Quader wurde zunächst 1500 Kilometer von den Steinbrüchen zum brasilianischen Tiefwasserhafen Pecém verbracht, von dort in den Industriehafen Marina di Carrara, Italien, verschifft; mit Schwertransportern nach Ciasna/Polen transportiert, wo sich das Spezialistenteam um den schlesischen Steinmetzmeister Josef Gajek an die Arbeit machte. Ein spezieller Gabelstabler, der 53 Tonnen Gewicht heben kann, 6,50 Meter reicht sein Mast in die Höhe, bewegte den Quader in der Werkstatt. Binnen drei Monaten wurde er, mit höchster Umsicht, doch unter großem Zeitdruck, auf der Drehbank zur Kugel. Schließlich wurde der Quarzit mit 400er Schleifpapier seidenmatt geschliffen.

Foto von Gregor Skolarski

In der Werkstatt fand auch die Prüfung des Materials statt, bevor die vollendete Kugel von spezialisierten Zimmerleuten in eine Transportkiste verpackt und nach Bremen chauffiert wurde. Hier ging es während der Corona-Epidemie ab Januar 2021 unter Zeitdruck durch die Winterstürme über den Atlantik nach New York, wo das „Paket“ einen Tag vor dem vereinbarten Termin ankam. Der Auftraggeber des Kunstwerkes verkündete am 29. September 2021 stolz: „The Olayan Group today unveiled landmark office tower 550 Madison’s newly renovated lobby, redesigned by Gensler, with a new art installation from world-renowned artist Alicja Kwade.”

 

Die feine Adresse

Die Madison Avenue verläuft als Einbahnstraße in Manhattan New York City vom Madison Square im Süden bis zum Harlem River Drive im Norden, wo sie zur Madison Avenue Bridge wird, sie misst 9,7 Kilometer. Sie befindet sich zwischen den Parallelstraßen Park Avenue und Fifth Avenue. Sie verläuft damit durch Midtown, die Upper East Side, East Harlem und Harlem. Das Gebäude mit der Adresse 550 Madison Avenue hat der Architekt Philip Johnson entworfen, der noch mit Mies van der Rohe arbeitete und es 1984 fertiggestellt. Es diente zunächst als Zentrale des Telefonanbieters AT & T, wurde später bekannt als Sony Plaza und Amerikazentrale des japanischen Konzerns. Der 37-stöckige Wolkenkratzer („nur“ 197 Meter hoch) wurde mehrmals umgebaut und 2016 von der Olayan Group für 1,4 Milliarden US-Dollar gekauft. Ende Oktober 2017 gab die Olayan Group ihre Pläne für eine umfassende Renovierung bekannt. Sie sollte 300 Millionen US-Dollar kosten und die Mieten im Gebäude auf 115 bis 210 US-Dollar pro Quadratfuß erhöhen, eine der höchsten Büromieten in New York City.

Die Lobby des Wolkenkratzers mit der Adresse „550 Madison Avenue“, ist mehrere Stockwerke hoch und etwa 30 mal 30 Meter groß. Sie wurde zuletzt völlig neu gestaltet.

Die Künstlerin Alicja Kwade

Alicja Kwade_by_Christian Werner

Die inneren Absichten der 1979 im polnischen Kattowitz geborenen, in Berlin lebenden Künstlerin Alicja Kwade bleiben für Betrachter geheimnisvoll, obwohl sie sich immer wieder dazu geäußert hat. Die Liste ihrer oft parallel auf der ganzen Welt stattfindenden Ausstellungen in kurzer Zeit ist atemberaubend, das Lob der internationalen Kritik – meist überschwänglich.

Lange Zeit hat sie sich intensiv mit den Gesetzen der Natur und der Bezeichnungsannahme von Dingen beschäftigt. Ihre häufig anzutreffenden Materialien sind Gold, Spiegel, Stein; Uhren und Lampen – sie verweisen auf Aspekte von Zeit, Energie, Materie. Erst kürzlich, in der Ausstellung namens „In Abwesenheit“ in der Berlinischen Galerie stellte sie sich erstmals selbst ins Zentrum (bis April 2022), freilich nicht im Sinne von Porträts: der Klang des eigenen Herzschlags, der individuelle DNA-Code oder die chemischen Elemente, aus denen sich der Mensch zusammensetzt, das Winzigste im großen Ganzen, so nähert sie sich ihrer eigenen Biografie an.

Jener strahlend blaue Quarzit aus den Steinbrüchen Macaúbas hat in seiner Lebenszeit mutmaßlich Dinosaurier, erste menschähnliche Lebewesen vorüberziehen sehen, nun hängt er an einem der Zentren der Erde, wo die Linien der geldwerten Entscheidungen sich kreuzen. Ihre Kunst sei nicht politisch, sie selbst sei es wohl, so Kwade. „Was ist etwas? Ein Stuhl ist ein Stuhl, weil man darauf sitzt und weil das Sitzen eine soziale Funktion hat“, hat sie eine ihrer Arbeiten beschrieben. „Das könnte man bei aller Eleganz und formalen Vollkommenheit, die ihre Skulpturen und Installationen aufweisen, manchmal fast vergessen: dass es harte intellektuelle Arbeit ist, nichts gelten zu lassen“, schreibt Silke Hohmann in einer lesenswerten Titelgeschichte für das Kunstmagazin „monopol“ (Ausgabe 09/2020).

Prüfungen

Ende des Jahres 2019 wandte sich Alicia Kwade wieder einmal an Herwig Bretis, dessen Firma Art Engineering GmbH sich weltweit auf die ingenieurseitige Verwirklichung von Kunstprojekten spezialisiert hat. Die künstlerische Idee und Ausgestaltung sind das eine, Projektplanung, Sicherheit, länderspezifische Vorschriften, Absicherung von Risiken, Logistik, die Zusammenarbeit mit den US-Baubehörden und den Prüfern von Thornton Tomasetti („When others say no, we say ‚Here’s How‘“) – hier laufen die Fäden von so gewaltigen Projekten wie Solid Sky zusammen.

Früh wurde Josef Gajek, ein weltweit vernetzter Handwerksmeister mit der Beschaffung des Rohmaterials betraut. Auch er arbeitet regelmäßig mit Alicia Kwade, „eine planmäßig vorgehende Powerfrau, die keine Angst kennt und das ganz große Ding will“ zusammen. Er war in Macaúbas zur Stelle und wusste: „Klüfte durchziehen die Lagerstätte und beeinflussen den Abbau von Rohblöcken, manchmal auch ungünstig.“

„Eine Kluft“, Gregor Stolarski von der LGA zeigt auf eine dunklere Linie, die über eine kleine Macaubakugel verläuft, „heißt erstmal nichts. Das muss keine Stelle sein, wo der Stein leichter bricht.“ Bevor Stolarski ins Spiel kam, hatte die bundesweit renommierte Expertin für das zerstörungsfreie Messen von Materialien Dr. Gabriele Patitz aus Karlsruhe den Auftrag bereits einmal abgelehnt: „Der Quader ist einfach zu groß, so tief können wir mit unseren hochfrequenten Radarsensoren nicht messen, um verlässliche Aussagen über das innere des Steins zu machen“, musste sie einräumen. Doch dann erinnerte sie sich an die bewährte Zusammenarbeit mit Gregor Stolarski und ihren langjährigen  Partner, den Geophysiker Markus Hübner. Sie hatten andere Möglichkeiten, in die Risse zu sehen, mithilfe der Labore der LGA weitere zerstörungsfreie Messmethoden ins Spiel zu bringen. „Wir haben in die Trennfläche, ganz frische Risse, nur etwa 100 Millionen Jahre alt, geblickt: was ist drin“, erinnert Gregor Stolarski. „Und in die Risse, die man nicht sieht.“ Am Ende der gemeinsamen Prüfungen – ein dicke Überraschung: „Wie ein Wunder: wir konnten ganz in den Stein blicken, bis ins Zentrum“, so Patitz. Wir waren zu 95 Prozent sicher, dass er den Schliff und den Transport übersteht.

Gregor Stolarski von der LGA mit einem Minimodel der Skulptur. Foto: Budig

Am 31.10.2020 liegt der zentrale Stein des Kunstwerks Solid Sky als fertige Kugel mit dem Durchmesser von knapp 2,4 Metern vor. Seit September 2021 hängt er im Foyer 550 Madison Avenue. Er gehört der Olayan Group, ebenso wie der Wolkenkratzer.

Einen Beitrag über die Arbeit des bayerischen Industriebetriebs „Ketten Wälder“ zum Solid Sky-Projekt lesen Sie, wenn Sie den Link aktivieren.

https://www.alicjakwade.com/
https://www.olayan.com/
http://gabrielepatitz.de/
https://www.fountain.de/
https://artengineering.de/