Asaf Avidan

Vom Fliegen und vom Fallen

Der israelische Sänger Asaf Avidan begeistert seine Zuhörer mit einem ausgefeilten Egotrip

Das Genre des Singer-Songwriters ist ein wenig aus der Zeit gefallen. Der Mythos vom Mann mit der Gitarre in der Hand hat sich überholt.  Allenfalls Helden wie Neil Young können es noch: Rausgehen, den Schemel erklimmen, die Gitarre greifen, die Mundharmonika festzurren und die Leute in eine Welt hineinziehen, ganz und gar. Die Jungen spielen in einer anderen Liga. Außer: Asaf Avidan.

Fünf Gitarren stehen auf der Bühne und warten, wie die Zuschauer im sich langsam füllenden Erlanger E-Werk. Pünktlich um Acht kommt Asaf Avidan allein auf die Bühne, Punker-Schnitt, Jeans-Jacke, ärmelloses Shirt über dem schmalen, trainierten  Leib. Ein leises Hinsetzen, ein Griff nach hinten, und dann nimmt der Abend seinen Lauf, nicht eine Sekunde wird der nun schon 38-jährige Zweifel aufkommen lassen, dass es hier um alles geht. Ein etwas längeres Gitarren-Intro, das offen lässt, welcher Song folgen wird, ein Einstieg mit leiser, brüchiger Stimme „Im in Love Again“ – doch die Erleichterung, dass der Poet des Kummers endlich einen Hafen der Liebe gefunden hat, währt nur kurz: „With my Old Pain“. „The Study on Falling“ heißt das neue Album, in dem die Liebe zum altvertrauten Schmerz schon wieder das Thema ist. Aber was soll einer erzählen, der keine Heimat fand, weil der Vater, ein Diplomat, immer weiterzog; der mit 21 Jahren an Lymphdrüsenkrebs erkrankte, „sogar mein Körper hat mich verraten“; mit Mühe überstand er den israelischen Wehrdienst, damals begann die Sache mit seiner Musik. Seine ungewöhnliche Stimme sorgte für den ersten Karriereschub des Außenseiters – er wurde Sprecher in der Animations-Filmindustrie.

Diese Stimme trägt ihn durch die Nacht, ihre Vielseitigkeit, vom jaulenden Falsett, übers schmerzüberlastete  Tremolo zum tiefen, maskulinen Bass. Ganz in sich und seinen Gesang versunken,  tut Asaf Avidan selbstvergessen  seinen Job und  „sich hineinsteigern“ ist keine ausreichende Vokabel mehr für ihn, dessen Kunst der Ausdruck vollkommener Hingabe ist. Viel später erklärt er sich, „danke, vom tiefsten Punkt meines Herzens; nie, nie nie werde ich es für selbstverständlich erachten, dass ihr meinetwegen gekommen seid“.  Zu diesem Zeitpunkt ist das Publikum bereits vertraut, mit den nicht auszuhaltenden Widersprüchen, die zum Kunst-Werk dieser Artistik gehören. Er selbst benennt einen radikalen Individualismus, „an egoistic selfish search“, als zwanghafte Ursache seines Musikerlebens. „Mein Ego hat quasi seinen eigenen Tourbus“ hat er Herlinde Koelbl vom ZEIT magazin diktiert. Das klingt alles sehr spontan und aus der Tiefe seiner Gefühlswelt ungefiltert ausgebrochen, doch vieles im Schaffen Avidans deutet auf eine quasi parallel verlaufende Reflexionsebene auf höchstem Niveau. Im Jahr 2012 erhielt Avidans ohnehin rasant verlaufende Musikerkarriere einen Schub, als sein 2008er-Tophit „Reckoning Song“ vom deutschen DJ Wankelmut unter dem Titel „One Day / Reckoning Song (Wankelmut Remix)“ Furore machte. Dass seine Kunst – Text, Musik, Instrumentalspiel alles verantwortet Asaf Avidan  – so Weiterverwendung fand, scheint ihn inspiriert zu haben: Auf der aktuellen Tour interpretiert er seine eigenen Hits im neuen Gewand, weg vom Bandsound mit den Mojos hin zum Solo-Bühnenprojekt und stets ist eine Weiterentwicklung zu spüren. Wenn Gesang und Gitarre einmal nicht mehr reichen, dann bedient Avidan die Beat Machine und löst zu den Drums vorproduzierte Orchestereinheiten und elektronische Klangteppiche aus, die die Zuhörer wegtragen, hinaus in die Welt, wo man das Fliegen und das Fallen lernen muss.

Alle Fotos: (c) Peter Budig