Lass uns Freunde bleiben

Im BLITZ kann ich immer wieder Themen jenseits aktueller Berichterstattung aufgreifen und erreiche große Leserzahlen im Raum Nürnberg.

„Lass uns Freunde bleiben“ – ein Satz nach einer Trennung gesprochen, der im ersten Augenblick verführerisch klingt: Ja, irgendwie bleibt alles doch ein bisschen gut. Wir sind die Besten, kein Rosenkrieg, kein Terror, der an Kindern ausgelassen wird. Wir besprechen alles in Ruhe und treffen uns später noch regelmäßig auf einen Kaffee…

Spüren Sie auch die vergifteten Pfeile, die in diesen Worten lauern? Ist denn jedes Liebes-Vergehen einvernehmlich? Können alle Menschen ihren Schmerz – der ja gewaltig sein kann, buchstäblich herzzerreißend – in Frieden mit sich selbst verarbeiten? Und wann ist alles wieder gut?

„Wir hoffen immer und in allen Dingen ist besser hoffen als verzweifeln“ … schrieb Goethe. Gilt das auch für Liebeskummer? „Nein“ sagt energisch der Psychologe und Buchautor Guy Winch in einem Spezial des Magazins der Süddeutschen Zeitung zum Thema „Liebe und Partnerschaft“. Winch rät von einem Hoffnungsreflex ab, der nur bedeute, dass man sich die Realität schönt. Das Erwachen sei schmerzhafter, die Dauer des Schmerzes länger, so der Therapeut aus New York.

Wir treffen die systemische Therapeutin Susanne Nagel (www.menschenbewegen.com) aus Nürnberg. Was fällt ihr als erstes ein, wenn sie das „Lass uns Freunde bleiben“-Mantra hört? „Das ist eine Platitude. Und es ist, sollte es ernst gemeint sein, sehr, sehr schwierig“, so die erfahrene Paartherapeutin. „Der Satz wird häufig aus­ge­sprochen, ohne richtig zu Ende gedacht zu sein.“

„Nicht selten“, hat sie in ihrer Praxis erlebt, „sagt man das, wenn Kinder da sind. Denn da ist der Druck bei einer Trennung für alle Seiten besonders groß. Doch gerade in diesem Fall wäre es viel wichtiger, sich zu besinnen: ‚Lass uns gute Eltern sein‘, was etwas komplett anderes ist.“

Die systemische Therapeutin Susanne Nagel
aus Nürnberg. Foto: Berny Meyer

Nagel wird grundsätzlich: „Betrachten wir doch erst einmal das Phänomen Freundschaft für sich. Was bedeutet es: Ich bin loyal. Ich teile Werte und Interessen. Ich habe Platz in meinem Leben für den/die Freund/in“, zählt sie auf und fährt fort: „Nehmen wir nur einmal das letzte Argument: Spätestens wenn ein neuer Partner ins Spiel kommt, wird es doch schwierig sein, dem früheren Partner/in so viel Raum zu geben?“ Ganz generell glaubt Nagel, das Freundschafts­angebot sei oft „nur so daher gesagt, um der Trennung den Stachel zu nehmen.“ Und in jenen Fällen, wo man es trotz aller Schwierigkeiten ernsthaft versucht, rät Susanne Nagel dazu, „unbedingt dem/r neuen Partner/in zu vermitteln, dass er/sie die absolute Nummer eins ist. Wenn da Zweifel auftauchen, ist nachhaltiger Beziehungszwist programmiert“.

Wir besuchen Marlen* (von Beruf Industriekauffrau, Anfang 40) und Hubert (Richter, Anfang 50, Namen auf wunsch geändert). Sie waren 11 Jahre ein Paar, davon sieben Jahre verheiratet. Sie besitzen eine hübsche großzügige Wohnung und einen Hund. 2016 haben sie sich getrennt und gleich beschlossen „Lass uns Freunde bleiben“. Auch aus praktischen Erwägungen haben sie es auf die Spitze getrieben und sind in der gemeinsamen Wohnung geblieben. „Es ist unsere Traum-WG, wie eine Ehe nur ohne Sex“, sagt Marlen. Sie haben Arrangements getroffen: Marlen arbeitet 30 Stunden und übernimmt den größten Teil im Haushalt. Hubert zahlt mehr Haushaltsgeld und übernimmt einen größeren Teil des Wohnungskredits. Beide sind hochzufrieden. Inzwischen haben auch beide neue Partner, die in das Arrangement eingeweiht sind. Marlen: „Mein Freund schätzt seinen eigenen Freiraum und kann mit der WG gut umgehen. Allerdings ist absolute Ehrlichkeit Pflicht“.

Auch Susanne Nagel kennt ein Paar, bei dem es geklappt hat: „Sie sind schon lange getrennt, aber wirklich gute Freunde geblieben. Sie hatten Kinder, die inzwischen aus dem Haus sind und haben sich immer abgesprochen. Es ging so weit, dass sie mit den neuen Partnern und den Kindern Urlaube machten und Weihnachten feierten.“ Nagel ganz ernst: „Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass so etwas nicht von selbst funktioniert. Es gehört viel Toleranz dazu, so etwas zu leben. Es braucht sehr gute, offene Kommunikation und alle Beteiligten müssen sehr aufrichtig, vor allem mit sich selbst sein“.

Wir erzählen die Geschichte von Marlen und Hubert. „Das gefällt mir sehr gut. Aber man sieht an der Geschichte schon auch das Besondere: Es ist eine Mischung aus Mentalität und einer gehörigen Portion Selbstsicherheit und Einsicht“, fasst sie zusammen.

„Ich glaube, das Wichtigste haben wir noch gar nicht erwähnt, es klingt banal, ist aber alles andere als selbstverständlich: Bevor man nach der Trennung Freunde bleiben kann, muss man schon während der Partnerschaft Freund gewesen sein“, sagt die Therapeutin nachdenklich.