Roofer in Franken

Rooferglück: 100 Prozent für den Kick

Die internationale Rooferszene feiert ihre Abenteurer wie Popstars. Die fränkischen Nachahmer backen kleinere Brötchen und sind auf der Suche nach dem großen Kick

Die erste Antwort auf die Suchanfrage nach fränkischen Höhenjunkies im Forum der unspektakulären deutschen Roofer Plattform( http://roofing-community.de) erreicht das Postfach etwa eine Woche nach dem Posting: Hey wir ham gehört dass du roofer suchst? Sind eine aufstrebende Crew aus ganz Franken und Teilen der Oberpfalz. Es gibt n paar Videos von uns aber erst nachdem wir uns sicher sind das du kein Bulle bist! – Aber Diskretion ist das wichtigste!“

Wow. Ein Hauch von geheimer Investigation liegt in der Luft.

Die internationale Szene der „Roofer“ (roof, Englisch für „Dach“), das sind Dächerstürmer, Kran-Kletterer, Funkturm-Bezwinger; Leute die heimlich und ungesichert große Risiken auf sich nehmen, den höchsten Kran, das spektakulärste Gebäude (in Deutschland: am liebsten den Berliner Funkturm) bis ganz oben zu besteigen. „Mustang wanted“ aus Kiew heißt einer der Superstars, die angeblich reich wurden, weil ihren Aktionen auf Youtube oder Instagram über hundert­tausend Interessenten folgen. Seine Trophäen, belegt mit Selfies in schwindelnder Höhe: das aus der Stalin-Ära stammende Kotelnicheskaya Embankment Building in Moskau; Türme der Votivkirche in Wien, vom Princess Tower (414 Meter) in Dubai … Gerne postet er Selfies, mit einer Hand über dem Abgrund schaukelnd und nennt das „Death Hang“.

Zwei Jungs aus Nordfranken, wir nennen sie hier Tom (17) und Alex (16).

Wenn einem von Höhenangst geplagten Städter mal richtig schlecht werden will, reichen schon die Fotos oder Filme der Roofer. Zögerliche Füße setzen Schritt um Schritt auf den Seitenarm eines Krans in Rottweil, den die Frankfurter Crew „the_grave_yard_kidz“ erklommen hat. Das Video ist auf YouTube zu sehen, es wird so eingeführt: „Wir waren vor kurzem auf dem Kran der Baustelle des ThyssenKrupp Elevator testturms in rottweil (http://testturm.thyssenkrupp-elevator… ); der derzeit als der höchste in deutschland gilt. Leider hat es ein wenig geregnet, sind aber trotzdem gute aufnahmen geworden; Viel spaß;)“, lautet der lapidare Einleitungstext. Hoch steigen, tief stapeln gehört zum Jargon der Szene. Lohn der maskierten, ganz in schwarz gekleideten Kranstürmer sind Kommentare wie dieser, von „Trueffel“: „Wie hier fast jeder rum heult. Wer ein Leben lang den Regeln der Lobby/Politik folgt wird außer Arbeit nie was erleben. Ich bin jetzt schon mehrfach ohne Gepäck zum Gardasee gelaufen … Lasst sie doch machen was sie wollen, klar ists ne Sauerei wenn man sie unten aufkratzen muss aber na und? Es verunglücken weitaus weniger als man denkt.“ Vielleicht freut die Höhenrausch-Anarchisten sogar die Respekts­bezeugung unter dem Klarnamen Dieter Edwin Albrecht mehr: „absolut illegal und kein Mitleid, wenn ihr verknackt werdet–  aber, ich kann mich selbst als Stadtrat von Rottweil nicht zurückhalten; RESPEKT“.

Wir treffen uns in Nürnberg am Haupt­bahnhof, laufen rüber zum Neuen Museum und meine Gesprächspartner überlegen gleich als erstes, wie man Bettina Pousttchis Installation „UNN (United Nations Nuremberg)“ auf dem Klarissenplatz kapern könnte. Wird aber nichts, zu viele Zeugen. Roofer schauen beim Gehen ständig nach oben: sie suchen „passendes Material“, gefährliche Höhe, spektakuläre Ausblicke. Doch auch der Baukran neben dem Hauptbahn­hof scheidet aus. Durchaus eine ansehnliche Höhe, aber zu viel Polizei-Aufmerksamkeit. Zwei Jungs aus Nordfranken, wir nennen sie hier Tom (17) und Alex (16), erklären die Gedankenwelt der Roofer: „Es geht darum, die Angst hinter sich zu lassen. Zu kontrollieren. Und besonders den Kick danach.“ Tom, blond, attraktiver, sportlicher Typ, jugendliche Pupertäts­pickel, hochgewachsen und sehr sehnig, kommt aus der Parcours-Szene. Das sind jene Hobby-Akrobaten, die den öffentlichen Raum zum Turnplatz umfunktionieren. „Wir haben auch viele Freunde aus der Surfer-Szene, die und wir Roofer gehören irgendwie zusammen“, erzählt er. Damit kein Missverständnis entsteht: „Surfer“ sind Leute, die sich – ebenfalls unter Lebensgefahr – an fahrende U- oder S-Bahnen hängen und außen – alles filmend – ein Stück mitfahren. Alex, der Gegenentwurf, schwarzhaarig, untersetzt, klärt auf, um was es geht: „Wir suchen möglichst hohe Gebäude, die noch unbestiegen sind. Erster sein und hoch klettern, das sind die Herausforderungen.“ Alles geschieht selbstverständlich ungesichert: „Uncool“, murmelt Alex und meint: Indiskutabel. Die beiden haben beim Treffen im Juli gerade ihre mittlere Reife absolviert, im Herbst beginnt die Lehre: Tom in einem technischen Handwerk, Alex im Büro. Zwei Seelen wohnen in ihrer Roofer-Brust: Anstand und Risiko-Lust. „Wir brechen keine Türen auf, wir machen nichts kaputt“, erläutert Tom den Roofer-Ehrenkodex. Trotzdem, Polizei und Sicherheits­dienste sind die Feinde der Gebäude-Stürmer. Die wollen verhindern, was deren Ziel ist: Dachfreiheit, rauf auf eine Plattform, den weiten freien Blick genießen, oben eine rauchen, was essen, eine Cola vielleicht. Drogen, Alkohol im Einsatz sind tabu. „Man braucht die ganze Konzentration, keine Ablenkung“, so Alex. Man versteht das besser, wenn man sich Videos von Kran-Besteigungen ansieht oder dies erklären lässt: „Wie kommt ihr aufs Dach, wenn im obersten Stock der Zugang verschlossen ist“? „Irgendeine Bürotür ist immer auf. Man öffnet ein Fenster, greift nach oben, hakt ein Bein ein und zieht sich hoch“ grinst er. In 300 Metern Höhe, wenn es sich ergibt! Der Kumpel, wenn er dabei ist, könnte im Ernstfall auch nicht helfen, ein falscher Griff bedeutet den Tod. „Aber die Motivation zu zweit ist besser, das hilft schon“, meint Tom. Die Welt von heute – den Roofern ist alles zu reglementiert. Obwohl beide, aufs Berufsleben angesprochen, auf Sicherheit, Perspektive, Aufstiegs­chancen spekulieren, aber doch erst später, ist jetzt erstmal „no risk, no fun“ angesagt.

Um zu Roofen, muss man reisen: In Franken ist bald alles abgeklappert. Im Osten gibt es lohnende Ziele, Sende­türme zum Beispiel. Und die Paradiese sind ohnehin die Metropolen Hong­kong, Singapur oder Dubai, wo die größten Wolkenkratzer stehen. Die absolute Star-Diva der Roofer-Szene ist die Russin Angela Nikolau. Sie nimmt sexy Outfits und Pumps noch mit in die schwindligste Höhe, zieht sich auf einer Tablett großen Plattform in 300 Metern Höhe um und macht ein atemraubendes Bild. Ihr Instagram-Profil (mit mehr als 500.000 Followern) ist eine sehr geschickte Mischung aus Roofer-Risk, Mode, sexy Outfits und Liebesbekundungen zu ihrem Partner Iwan Kusnetsow, der als Dachbegleiter und Fotograf mit ihr die Roofer-Welt bereist.

Ein paar Tage später kommen Bilder per WhatsApp: „Wir mussten wegen der Security aufpassen, sie sind da Raumpatrouillert und über den Zaun gestiegen und ham erstmal die Bewegungsmelder für’s Licht ausgelöst. War trotzdem am Ende aber alles in allem ganz okay“, kommentieren sie die Besteigung eines Sendeturms in Köln. „Wissen eigentlich Eure Eltern was ihr treibt?“ – „Nein. Sie würden sich nur Sorgen machen. Wir sagen, wir fahren auf ein Konzert. Schlafen bei Freunden…“

Auch Mike (Name geändert) aus dem Nürnberger Land, der sich einige Tage später meldet, hat bereits einige Höhenräusche hinter sich. Der 18-Jährige lernt einen Handwerksberuf im Elektro-Bereich. „Ich bin sehr fit, mache Ausdauer- und Kraftsport“, beschreibt er seine Voraussetzungen. „Um zu Roofen, musst Du sehr viel planen: Gebäude auskundschaften, rausfinden ob es Sicherheitsdienste gibt, wie der Zugang ist“, beschreibt er sein Handwerk. Der 265 Meter hohe Sendemast von Aholming in Niederbayern gehört zu seinen frühen Trophäen. „Drei Tage nachdem ich oben war, wurde er abgerissen“, sagt Mike grinsend. 500 Kilometer ist er nach Höhbeck (zwischen Hamburg und Berlin) gefahren, um den 344 Meter hohen Funkmast Gartow2 zu erklimmen. Der Eingang war mit Stacheldraht gesichert. Alles kein Hindernis. Im inneren des schlanken Turms führt eine eiserne Treppe ganz nach oben. „In 40 Minuten war es geschafft. Ich war froh, dass ich so fit bin“, resumiert er. Oben angekommen setzte sich friedlich auf die 12 Quadratmeter große Plattform und genoss die Weite. Er hatte was zu naschen dabei und trank einen Schluck Wasser, zur Feier des Tages.